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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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nichts einen Sinn gehabt als für die uralten, ewig fließenden Säfte des Körpers, und um nichts sonst hatte ich mich gekümmert.
    Sanft nahm ich ihre Arme, küsste die blutunterlaufenen Stellen, bemerkte die Einstiche der Injektionsnadeln und die Stellen, an denen ein Pflaster den feinen Flaum der Haut weggerissen hatte.
    ›Rachel, du hast Schmerzen, und ich habe alles nur noch schlimmer gemacht‹, sagte ich. ›Befiehl mir und ich hole dir, was du benötigst. Schick mich los, ich besorge dir alles. Ich kann dir alles bringen, was es irgendwo auf der Welt gibt. Das liegt in meiner Natur begründet. Hast du geschickte Ärzte?
    Sage mir einfach, wo sie sind.
    Ohne Anleitung würde ich mich auf der Suche nach Ärzten oder Magiern verlieren. Deshalb weise mir den Weg, sende mich aus. Für was immer du brauchst ...‹
    ›Nein.‹
    Ich studierte ihr Gesicht, sie war ganz ruhig und lächelte noch immer. Sie schien wie im Halbschlaf, und ich merkte, dass sie leise sang, besser gesagt, mit geschlossenen Lippen vor sich hin summte. Ihre Hände waren viel zu kalt.
    Ich seufzte auf; das war der tiefe Schmerz, den die Liebe mit sich bringt; und er war so frisch, als hätte ich ihn nie zuvor gespürt. Es war so schmerzhaft und grausam, als sei ich lebendig und jung.
    ›Sorge dich nicht‹, flüsterte sie. ›Die größten Ärzte der Welt haben schon ihr verdammt Bestes gegeben, um Gregory Belkins Frau zu heilen. Außerdem ... möchte ich ...‹
    ›... bei Esther sein.‹
    ›Ja. Glaubst du, es wird so sein?‹
    ›Ja, das glaube ich‹, versicherte ich ihr. ›Ich sah ihre Seele aufsteigen ins helle reine Licht.‹ Ich hätte gern noch hinzugefügt: ›Auf die eine oder andere Art wirst du bei ihr sein.‹ Aber ich unterließ es. Ich wusste nicht, ob sie glaubte, wir alle seien nur kleine Flämmchen, die zurückkehrten zu Gott, oder ob sie an ein Paradies glaubte, wo wir unsere Lieben wieder sehen würden. Was mich betraf, ich glaubte an ein Paradies, und eine vage Erinnerung durchfloss mich, dass ich einstmals sehr hoch hinaufgeflogen war, eine Erinnerung an sanften Geistern ähnliche Wesen, die mich dort aufgehalten und etwas vor mir verborgen gehalten hatten.
    Ich sank zurück auf das Bett. Ich war mir so sicher gewesen, dass ich sterben wollte, und nun brannte die Flamme des Lebens, die in Rachel langsam niederschmolz wie eine Kerze, hell in mir und schien mir so unendlich kostbar.
    Ich wünschte so sehr, ich könnte sie heilen. Ich betrachtete sie und versuchte festzustellen, wie ihr Körper funktionierte, wie eins mit dem anderen zusammenhing und alles mit Venen und Adern verbunden war wie mit goldenen Fäden. Ich legte meine Hände auf ihren Körper und betete, ließ mein Haar über ihr Gesicht fallen. Tief in meinem Herzen betete ich zu allen Göttern.
    Sie rührte sich ein wenig. ›Was hast du gesagt, Asrael?‹ Sie murmelte ein paar Worte, die ich zuerst nicht verstand. Dann merkte ich, dass sie Jiddisch sprach. Sie fragte: ›Hast du He-bräisch gesprochen?‹
    ›Nur Gebete, meine Liebste. Denke dir nichts dabei.‹ Sie sog tief den Atem ein und legte ihre Hand auf meine Brust, als ob der schlichte Akt dieser Bewegung sie schon erschöpfte. Ich bedeckte ihre Hand mit der meinen. Zu kalt, diese kleinen Hände. Ich schuf ein wenig Wärme für uns beide.
    ›Du bleibst wirklich bei mir, ja?‹, fragte sie.
    ›Wieso erstaunt dich das so sehr?‹, fragte ich zurück.
    ›Ich weiß nicht. Vielleicht, weil alle immer versuchen fortzukommen, wenn sie merken, dass du wirklich stirbst. In diesen schlimmen Nächten, als es mir ganz schlecht ging, kamen nicht einmal die Ärzte; auch die Schwestern blieben weg, und selbst Gregory kam nicht. Als diese Krise überstanden war, waren sie alle wieder da. Und du, du bleibst bei mir. Duftet die Luft nicht herrlich? Und das Licht, sieh nur dieses Licht am nächtlichen Himmel.‹
    ›Es ist wunderschön, ein Vorbote des Paradieses.‹
    Sie lachte ein ganz klein wenig. ›Ich bin bereit, als Nichts ins Nichts zu gehen.‹
    Was sollte ich sagen?
    Irgendwo schrillte eine Glocke, klang vibrierend durchs Haus.
    Ich richtete mich auf. Das gefiel mir nicht. Ich schaute in den Garten hinaus, auf die großen roten Blüten, wie Trompeten, und nun bemerkte ich erst, dass über diesen Blüten gedämpfte elektrische Lampen glühten. Alles war so vollkommen.
    Dann ertönte die Glocke wieder.
    ›Geh nicht hin‹, sagte Rachel. Sie war am ganzen Körper schweißnass.
    ›Hör zu‹, sagte sie,

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