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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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das Einzige weit und breit, und das wusste er.
    Er hatte es einigen Bemerkungen der Leute entnommen, die ihm offiziell, aber sehr freundlich und taktvoll gesagt hatten, dass ich in den kommenden Monaten nicht zu erreichen sei, dass ich bewusst untergetaucht war.
    Ich sah ihn im Augenblick, als er in der Tür erschien. Ich sah die glänzende Masse seines lockigen Haars und das Feuer in seinen Augen. Ich sah die Kraft und Geschmeidigkeit, mit der er die Tür schloss und direkt auf mich zukam.
    Ich glaube, ich sagte: »Ich werde sterben.«
    »Nein, du wirst nicht sterben, Jonathan«, antwortete er.
    Als Erstes nahm er die Wasserflasche, hob meinen Kopf an, und ich trank und trank, mein vom Fieber geschüttelter Körper sog das Wasser in sich ein; und dann segnete ich ihn.
    »Es ist reine Freundlichkeit, Jonathan«, antwortete er ganz schlicht.
    Während er das Feuer wieder anfachte, den Schnee aufwisch-te, döste ich, doch in meiner Erinnerung steht mir wunderbar klar vor Augen, wie er meine ringsum verstreuten Unterlagen wieder sorgfältig aufsammelte und sich ans Feuer kniete, wo er sie ausbreitete, damit sie trocknen konnten und wenigstens ein Teil des Geschriebenen lesbar blieb.
    »Dies ist dein Werk, deine kostbare Arbeit«, sagte er zu mir, als er bemerkte, dass ich ihn beobachtete.
    Er hatte den dicken, gefütterten Mantel ausgezogen und war in Hemdsärmeln, was bedeutete, die Kälte konnte uns nichts mehr anhaben. Ich roch, dass die Suppe wieder kochte, Hüh-nerbrühe im Topf brodelte. Er brachte sie mir in einer irdenen Schale - sie gehörte zu einem Sortiment rustikaler Gegenstände, die ich extra für diese Hütte ausgesucht hatte - und sagte, ich solle trinken, was ich auch gehorsam tat.
    Tatsächlich waren es Wasser und diese Brühe, mit denen er mich wieder ins Leben zurückbrachte. Während der ganzen Zeit war ich nicht ein einziges Mal so weit bei mir, dass ich die wenigen Medikamente in dem weißen Erste-Hilfe-Kasten er-wähnte. Er benetzte mein Gesicht mit kaltem Wasser, dann wusch er mich langsam und geduldig von oben bis unten, wobei er mich vorsichtig auf die Seite drehte, um frische Laken aufzuziehen. »Jetzt noch einmal etwas Brühe«, sagte er.
    »Diese Brühe, du musst sie trinken.« Und auch Wasser, wieder und wieder reichte er mir Wasser.
    Ob auch für ihn genug da sei, fragte er. Ich hätte beinahe gelacht. »Aber sicher, mein Freund, trinke nur, so viel du willst.«
    Und mit großen, gierigen Schlucken stürzte er es hinunter, wobei er sagte, er brauche nichts sonst, denn abermals hätten sich die Stufen zum Himmel vor ihm in Nichts aufgelöst und hätten ihn verzweifelt zurückgelassen.
    »Mein Name ist Asrael«, sagte er, als er dort an meinem Bett saß. »Sie haben mich ›Hüter der Gebeine‹ genannt«, fuhr er fort, »doch ich bin ein aufrührerischer Geist geworden, ein verbitterter, unverschämter Dschinn.«
    Er strich das Magazin, das er mitgebracht hatte, glatt und zeigte es mir. Mein Kopf war jetzt klar. Als ich mich aufrichtete, konnte ich mich auf den göttlichen Luxus eines frisch bezogenen Kissens stützen. Asrael sah für mich genauso wenig wie ein Geist aus wie jeder andere normale Mann auch; muskulös war er, vor Leben pulsierend, das dunkle Haar auf seinen Handrücken und seinen Unterarmen ließ ihn nur umso vitaler und kräftiger wirken.
    Vom Titelblatt des berühmten time magazine starrte mich Gregory Belkin an - Esthers Vater -, Gründer der Sekte »Tempel vom Geiste Gottes«. Der Mann, der um ein Haar für Millionen Menschen das Verderben gebracht hätte.
    »Diesen Mann habe ich getötet«, sagte Asrael. Ich wandte den Kopf, um ihn anzusehen, und da nahm ich zum ersten Mal das Wunder wahr. Er wollte, dass ich es sah. Er inszenierte es eigens für mich.
    Er hatte seine Größe verringert, wenn auch nur um ein weniges; die Mähne schwarzen, dicht gelockten Haares war verschwunden, er trug den teuren Kurzhaarschnitt eines modernen Geschäftsmannes; selbst sein weites, lose fallendes Hemd war dem höchst konventionellen, untadelig maßge-schneiderten dunklen Anzug gewichen, und er hatte sich ...
    vor meinen eigenen Augen ... in die Gestalt Gregory Belkins verwandelt.
    »Ja«, bekräftigte er. »So sah ich aus an dem Tag, an dem ich die Entscheidung traf, meinen magischen Kräften auf ewig zu entsagen und einen realen Körper anzunehmen, realen Schmerz auf mich zu nehmen. Ich war Gregory Belkins Ebenbild, als ich ihn erschoss.«
    Ehe ich etwas antworten konnte, verwandelte

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