Engel der Verdammten
ihn veranlasste, die schroffen, bewaldeten Hänge zu erklimmen, hinauf in den Schnee, zu Fuß. Er hatte nur ein zusammengerolltes Nachrichten-Magazin bei sich. Sein einziger Schutz war die Mähne krausen schwarzen Haares, die ihm weit über die Schultern hing - und gibt es etwas Vortrefflicheres, um Kopf und Hals eines Mannes warm zu halten? Er war hoch gewachsen und trug einen dieser weit geschnittenen, dick gefütterten Wintermäntel, die nur große Männer, die in ihrem Herzen Romantiker geblieben sind, mit der nötigen Selbstsicherheit und der unerlässlichen, bezaubernden Gleichgültigkeit tragen können.
Im Licht des Kaminfeuers erschien er auf den ersten Blick wie ein freundlicher junger Mann, mit großen schwarzen Augen, buschig vorstehenden Brauen, einer schmalen, aber stumpfen Nase und einem breiten Mund mit aufgeworfenen Lippen. Sein Haar war schneebedeckt, und der Wind, der durch das Haus fuhr, zerrte wild an seinem Mantel und ließ meine kostbaren Unterlagen in alle Richtungen durch den Raum flattern.
Hin und wieder schien er in seinem Mantel zu schrumpfen.
Sein Äußeres veränderte sich dann völlig, verwandelte sich und glich sich dem des Mannes auf dem Titelblatt des Magazins an, das er bei sich trug.
Ich bemerkte es sehr bald, dieses Wunder, noch ehe ich wusste, wer er war und dass ich überleben würde, dass mein Fieber gesunken war.
Machen Sie sich bitte klar, dass ich nicht geisteskrank oder von Natur aus etwa exzentrisch bin, und ich neige auch nicht zur Selbstzerstörung. Ich war nicht in die Berge gegangen, um zu sterben. Ich hatte es einfach für eine gute Idee gehalten, mich in die totale Einsamkeit meines Hauses oben im Norden zurückzuziehen, ohne Verbindung zur Außenwelt, ohne Telefon, Fax, Fernseher und Elektrizität zu sein. Ich hatte an einem Buch zu arbeiten, das mich seit beinahe zehn Jahren beschäftigte, und in diesem mir selbst auferlegten Exil gedachte ich es zu vollenden.
Das Haus gehört mir, und wie stets war es gut ausgerüstet mit einem großen Vorrat an Tafelwasser, mit Öl und Petroleum für Lampen, schachtelweise Kerzen, Batterien in allen möglichen Stärken, sowohl für Kassettenrecorder als auch für die Lap-tops, mit denen ich arbeitete, und mit einem enormen Stapel trockener Eichenholzscheite für das Feuer, das während meines gesamten Aufenthalts hier notwendig wäre.
Ich hatte ein paar Medikamente mit, einen Erste-Hilfe-Kasten mit den nötigsten Mittelchen. Ich hatte die einfachen Nah-rungsmittel dabei, die man über offenem Feuer kochen kann: Reis, Maismehl, jede Menge Dosen mit ungesalzener Hühner-brühe, auch ein paar Steigen Äpfel, die für den Winter reichen sollten. Außerdem hatte ich ein, zwei Säcke Yamswurzeln mitgenommen, denn ich hatte herausgefunden, dass man sie, in Folie gewickelt, über dem Feuer rösten konnte. Ich mochte dieses leuchtende Orange der Yamswurzeln. Und Sie können mir wahrhaftig glauben, ich war nicht stolz auf diese spezielle Art von Ernährung und hatte auch nicht vor, darüber in Illustrierten zu referieren. Ich will versuchen, es zu erklären: Ich war der üppigen Speisen einfach überdrüssig, überdrüssig auch der überfüllten New Yorker Restaurants und der glitzernden Partybuffets. Und selbst, dass mich jede Woche irgendein Kollege zu einem wunderbaren Mahl zu sich nach Hause ein-lud, war ich leid. Ich brauchte neue Energie für Körper und Geist. Ich wollte einfach nur Ruhe und Frieden zum Schreiben und nahm mit, was ich wirklich brauchte. So absonderlich war das nun auch nicht.
Bücher waren schon genug im Haus, denn die alten Holzbal-kenwände waren gut isoliert und dann deckenhoch mit Rega-len versehen worden. Es gab ein Doppel der wichtigsten Texte, in denen ich auch daheim nachzuschlagen pflegte, und einige Gedichtbände, in denen ich immer und immer wieder mit hingebungsvollem Vergnügen las.
Meine zusätzlichen Computer, klein und handlich, aber mit großer Kapazität - obwohl ich kaum je ein tieferes Verständnis für Festplatten, Bytes, Megabytes und Pentium-Prozessoren entwickeln werde - waren schon vorher hier herauf geschafft worden, zusammen mit einem nachgerade unglaublichen Vorrat an Disketten, auf denen ich mein Werk speichern wollte.
Um ehrlich zu sein, ich arbeite hauptsächlich handschriftlich, auf gelbem Kanzleipapier, wie Rechtsanwälte es benutzen; dafür hatte ich Schachteln über Schachteln an Stiften mitgenommen, diese Fineliner mit der schwarzen Tusche.
Es war wirklich alles perfekt
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