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Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ein Mädchen hierzulassen?« fragte Dr. Haller.
    »Sie ist die Tochter des Dorfältesten.«
    »Des Mannes ohne Nase?«
    »Ja. Sie ist ausgebildete Pflegerin. Sie lebt seit ihrem zehnten Jahr in Nongkai.«
    Dr. Haller streckte seine Hand hin. Siri zögerte, aber dann beugte sie sich plötzlich vor und küßte sie. Mit einem Ruck zog Haller die Hand zurück. »Laß den Blödsinn!« sagte er rauh. Er wollte weitergehen, machte einen Schritt vorwärts, kam aber plötzlich zurück und umfaßte Siris Kopf mit beiden Händen. »Du bist hübsch«, sagte er.
    Eine Welle von Sympathie durchzog ihn, und das war etwas so Seltenes, daß er nach innen lauschte, als könne dort jemand zu ihm sprechen: Sieh sie dir an, du versoffener Hund. Da steht ein schöner Mensch. Ein reiner Mensch. So jung und voller Hoffnung warst du auch einmal, und was ist aus dir geworden? Laß sie in Ruhe, du Halunke! Sie ist zu schade für dich.
    »Wie spät ist es jetzt?« fragte Dr. Haller.
    »Gleich zwei Uhr mittags.«
    »Um drei ist die erste Visite. Ich bitte, mir die wichtigsten Fälle vorzustellen.« Er drehte sich um und blickte in Adripurs strahlende Augen. »Glotzen Sie nicht wie ein Kalb, Sabu! Solche Anwandlungen gehen bei mir schnell vorbei.« Er ließ Siris Kopf los und wandte sich abrupt weg. Er hatte das unterdrückte innere Zittern in ihrem Körper bemerkt, und auch ihn durchrann es wie ein prickelnder elektrischer Strom, er spürte ihn bis in die Zehenspitzen und bis unter die Kopfhaut.
    Er ging die Betten ab, blickte sich dann um, weil er Siri noch einmal sehen wollte. Aber sie war in den Saal zurückgegangen und saß am Bett eines Kranken. Er sah es durch das Fenster, hatte große Lust, umzukehren und sich neben sie zu setzen. Aber Dr. Adripur zog ihn weiter.
    »Wir müssen jetzt hinüber zur Verwaltung«, sagte Adripur. »Chefarzt Dr. Karipuri und Direktor Taikky erwarten uns dort.« Er zögerte und fragte dann fast ängstlich: »Wie gefällt Ihnen Nongkai?«
    »Kommt es darauf an?« entgegnete Dr. Haller.
    »Ja. Ich kenne Ihren Vertrag nicht. Aber bisher hat kein Arzt das Ende seines Vertrages abgewartet.«
    »Da kann ich Sie beruhigen, Adripur. Ich warte schon lange auf mein Ende. Vielleicht ist das hier die richtige Endstation. Vorhin, auf dem Flugplatz, wollte ich noch mit Gewalt weg. Jetzt, glaube ich, werde ich hierbleiben.«
    Er blickte noch einmal durch das offene Fenster auf Siri, wandte sich dann ab und ging die Straße hinunter zum Verwaltungsgebäude. Die Leprösen standen noch immer als lebende Gasse vom Hospital bis zur Verwaltung und klatschten in die Hände, als sie Dr. Haller sahen.
    Bürgermeister Minbya hatte die Zwischenzeit benutzt und sich mit dem Ältestenrat besprochen. Er stellte sich Dr. Haller in den Weg und verbeugte sich tief. »Dürfen wir Sie einladen?« fragte er demütig. »Wir haben zehn Hühner geschlachtet und einen großen Kessel mit Reis gekocht. Meine Frau Sitra hat uns aus Getreide und Reis einen Schnaps gebrannt.«
    »Das hört sich vorzüglich an!« Dr. Haller lachte und drehte sich zu Adripur um. »Die brennen hier selbst ihren Sprit?«
    »Wer kann diesen Menschen noch etwas verbieten?«
    »Ich glaube', hier werde ich heimisch.« Dr. Haller legte Minbya die Hand auf die Schulter. »Ich komme, Väterchen. Und wenn dein Schnaps gut ist, werde ich Stammgast. Wann soll's losgehen?«
    »Wenn der Mond in der Mitte des Dorfes steht.«
    »Eine präzise Zeit. Eine gute Zeit. Bei Mond ist mein Durst phänomenal!« Er klopfte Minbya auf die Schulter und ging weiter.
    Nachdenklich sah ihm der Alte nach. »Was hat er gesagt?« fragte ein Mann, der zwischen seinen Krücken hing. Auch die anderen Dorfräte bedrängten Minbya.
    »Er kommt.« Minbya strich sich mit den knotigen Fingern über den Kopf. »Ich glaube, er ist ein unglücklicher Mensch. Wir müssen auf ihn aufpassen …«
    Dr. Karipuri und Donu Taikky begrüßten Dr. Haller wie einen guten Freund, schüttelten ihm die Hand, stellten die typischen dummen Fragen: »Wie war die Fahrt?« – »Haben Sie Durst?« – »Wie fühlen Sie sich im Dschungel?« Aber trotz aller Herzlichkeit war eine Wand zwischen ihnen, unsichtbar, aber fest wie Panzerglas.
    Der Boy brachte kalten Braten und Obst, eisgekühlten Fruchtsaft und eine halbgeleerte Flasche Kognak.
    »Die Kranken sehen aus, als seien sie hier, um in aller Gemütlichkeit vor sich hin zu faulen«, sagte Haller. »Ich habe um drei Uhr eine Visite angesetzt, um mir ein erstes Bild zu machen.«
    Dr.

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