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Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wagen.«
    »Glauben Sie? Ich bin da nicht so sicher.« Dr. Haller blickte hinüber zu den großen Feuern, die auf dem Dorfplatz loderten. »Karipuri weiß jetzt, warum ich hier in Nongkai bin. Glauben Sie, die beiden Gauner hätten, nachdem ich über den kläglichen Rest Kognak gelästert hatte, aus purer Freundlichkeit eine Batterie Whisky auf den Tisch gestellt? Das war ein Test.«
    »Ich weiß. Und Sie haben ihn bestanden!« Adripur steckte sich eine Zigarette an. Seine Hände zitterten leicht. Haller beobachtete ihn. Armer Junge, dachte er. So gut er es kann, kneift er den Arsch zusammen, aber er weiß genau, daß man ihn hier verheizt. Doch er hält aus, er entert nicht das nächste Flugzeug, um zurück zu den Menschen zu flüchten, wie seine Kollegen vor ihm. Er hat noch so etwas wie ein ärztliches Ethos, ein medizinisches Gewissen, ein Idealbild seines Berufes. Und das in einem Dorf der lebenden Toten!
    »Sie haben nur zehn Whiskys getrunken«, sagte Adripur. »Und Sie haben es gut durchgestanden.«
    »Um Platz zu lassen für den Schnaps dieses Minbya. Mein Junge …« Haller legte den Arm um Adripurs Schulter. Sie waren fast gleich groß, aber gegen den schlanken Inder wirkte Haller massig. »Sie hoffen, daß ich kämpfe?«
    »Ja.«
    »Das wäre ein Kampf gegen Korruption, Unfähigkeit, Vorurteile und Gleichgültigkeit. Ein Vierfrontenkrieg! Sabu, das trauen Sie mir noch zu?«
    »Ich hoffe es – sagen wir es so, Dr. Haller. Gehen Sie durch Nongkai, blicken Sie in die Hütten, reden Sie mit den Kranken und Gesunden – wenn Sie dann noch sagen: ›Ich tue nichts, ich werde nur noch saufen!‹ – dann – dann wird das Elend hier eben weitergehen.«
    Dr. Haller steckte die Hände in die Hosentaschen, zog den Kopf zwischen die Schultern und ging langsam die leere Straße hinunter zum Dorfplatz und zu den lodernden Feuern. Er folgte dem Geruch der gebratenen Hühner. Über ihm stand der Mond wie in einer kitschigen Theaterkulisse.
    Vor dem dunklen Hospital blieb er stehen und starrte auf die Fensterreihe. Ein Pfleger rekelte sich draußen auf der Veranda in einem Korbsessel. Der Nachtdienst. Immerhin, so etwas gibt es hier doch, dachte Haller sarkastisch. Etwas vom Klinikbetrieb ist geblieben: der weiße Kittel, die gestärkte Schwesternhaube, die Pinkelflasche, der sich langweilende Nachtdienst.
    Er trat bis an die Stufen zur Veranda und hustete. Der Pfleger streckte die Beine von sich und sah Doktor Haller dumm an.
    »Nichts Neues?« fragte Haller und ging die vier Treppenstufen hinauf. Er blieb vor dem Pfleger stehen und nahm die Hände aus den Taschen.
    »No, Doc!« Der Mann grinste und faltete die Hände über dem Bauch.
    »Das ist ein Irrtum«, sagte Dr. Haller ruhig. »Es gibt doch etwas Neues. Wenn ein Arzt mit dir redet, stehst du auf! Das ist neu! Los, probieren wir es!«
    Er griff blitzschnell zu, packte den Grinsenden vorn am Hemd und riß ihn aus dem Korbsessel.
    Der Pfleger starrte ihn aus haßerfüllten Augen an. Aber er blieb stehen. »Sehr gut!« Haller lachte. »Sonst noch etwas Neues?«
    »No, Doc!« Der Pfleger stand nach vorn gekrümmt, mit hängenden Armen. Er blickte über Dr. Haller hinweg in den Nachthimmel.
    »Ich weiß, daß du mich jetzt bis aufs Blut haßt«, sagte Dr. Haller. »Es werden mich noch mehr hassen lernen. Mir macht's nichts aus. Setz dich. Morgen üben wir weiter. Wie heißt du?«
    »Pala …« Der Pfleger schloß halb die Augen. Seine breite Brust hob und senkte sich wie nach einem schnellen Lauf. »Pala, Doc.«
    »Wir werden gut zusammenarbeiten, Pala.«
    »Ja, Doc.«
    »Wo ist Siri?«
    »Bei ihren Eltern, Doc.«
    »Paß gut auf die Kranken auf, Pala«, sagte er und ging langsam die vier Stufen hinunter. »Schlaf nicht.«
    »Nein, Doc.«
    Dr. Haller ging weiter ins Dorf, ohne sich noch einmal umzusehen. Pala war an das Geländer der Veranda getreten und starrte dem Arzt nach. Sein Gesicht war eine steinerne Maske, aber die Augen verrieten seine Gefühle. Ein Weißer hatte ihn angerührt, und er hatte reagiert wie ein Sklave.
    Er beugte sich vor und schien zu überlegen, was mit dem Arzt geschehen sollte. Ihm schien etwas einzufallen. Er setzte sich wieder in den Sessel und streckte die Beine von sich. Hinter ihm, jenseits der offenen Fenster mit den Moskitodrähten, atmeten röchelnd die Schwerkranken. Der Dschungel hat seine eigenen Gesetze.
    Minbya erhob sich von seinem Hocker und kam Dr. Haller ein paar Schritte entgegen. Es war eine gespenstische Situation: die

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