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Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schnaufte.
    Vertraut mit allen möglichen Gemeinheiten, begriff er sofort die Gefahr, die im dunklen Zimmer lauerte. Auf Zehenspitzen ging er die Treppe wieder hinunter, verschwand in seinem Büro und brauchte kostbare zwanzig Minuten, bis er endlich telefonisch den Gesundheitsminister erreichte, der angeblich nicht im Hause sein sollte. Nur mit dem Namen Dr. Haller gelang es ihm, die Barriere zu durchbrechen.
    »Ihre Freunde blasen zum Angriff«, sagte der Minister, als er vom Telefon zurückkam. Dr. Haller untersuchte gerade den Polizeichef von Rangun, einen mittelgroßen, drahtigen Mann mit einem Bürstenhaarschnitt. Er lag auf dem Sofa im Privataudienzzimmer des Ministers, nackt bis auf die Socken und Schuhe, und hatte gerade gehört, daß Verdacht auf Magengeschwüre bestand. Die endgültige Diagnose konnte erst ein Röntgenbild bringen.
    »Drei neugierige Kollegen waren ja schon da!« Haller wischte sich die Hände an einem nassen, parfümierten Handtuch ab.
    »Diesmal waren es nicht die Ärzte, mein Lieber …« Der Minister lächelte. »Diesmal interessiert sich Ihr Freund Taikky für Sie.«
    »Himmel! Der ist nach Rangun gekommen? Soviel Glück gibt es gar nicht!«
    »Nein, bester Doc! Er hat eine seiner Kreaturen geschickt. Der Kerl sitzt in Ihrem Zimmer und wartet auf Sie. Nur Chins Gespür hat verhindert, daß Sie und Siri ahnungslos in die Falle tappen!« Er tippte dem Polizeichef auf den nackten Bauch und lachte ihn an. »Steh auf, Han Bayan, und mach ein paar gute Leute mobil! Die Ratten werden nervös.«
    »Seit Jahren warte ich auf diese Stunde.« Han Bayan sprang vom Sofa, zog sich an und ging zum Telefon, das auf einem kleinen geschnitzten Tisch stand. »Sie waren immer wie mit Öl bestrichen. Sie glitschten uns durch die Finger. Wir durften immer nur die verstümmelten Toten aufsammeln und das Gesicht für die Presse hinhalten, die kräftig hineinschlug! Aber jetzt haben wir einen von diesen Halunken! Und, bei meinen Ahnen, ich lasse ihn stückweise aufschneiden, bis er redet.«
    Gegen 22.30 Uhr kam Dr. Haller mit einem Taxi zum ›Roten Drachen‹ zurück. Um diese Zeit saßen im Restaurant schon zehn Polizisten, ein möglicher Fluchtweg über den Hinterhof war durch Hundestreifen abgesperrt, auf den Dächern der Nachbarhäuser lagen Scharfschützen. Über Rangun hing ein schöner, runder, kitschiger Theatermond mit kleinen weißen Wölkchen drum herum, und die Dächer waren wie mit Silber übergossen.
    Chin-hao-Chin bediente die Polizisten, die von den anwesenden weißen Schlemmern für reiche Birmesen gehalten wurden, und schlich ab und zu an die Treppe, um eine raffinierte Falle zu kontrollieren. Er hatte einen dünnen Seidenfaden vier Zentimeter hoch über die dritte Stufe gespannt und das Flurlicht bis auf ein paar Notleuchten ausgedreht. So konnte niemand die Schnur sehen, aber jeder, der die Stufe betrat, mußte unweigerlich darin hängenbleiben. Und dann geriet eine alte Blechbüchse in Schwingung, in die Chin-hao-Chin kleine Kiesel gelegt hatte. Ein primitives Alarmsystem, das nur den Fehler hatte, daß es auch anschlug, wenn zufällig eine der Katzen die Treppe hinaufhüpfte. Um das zu vermeiden, hatte Chin-hao-Chin alle Katzen in den Hof gejagt und die Tür abgeschlossen.
    »O Doktor!« sagte Chin-hao-Chin, als Haller in das Hinterzimmer kam. Siri fiel ihm um den Hals, küßte ihn ungeniert und drückte sich an ihn. Lepra, Dschungel, Krokodile und Flucht vor Taikky hatte sie mit einem unbegreiflichen Mut überstanden, vor diesem unbekannten Mörder oben im dunklen Zimmer aber hatte sie Angst. Mit dem Instinkt eines Tieres spürte sie, daß die Gefahr noch nie so groß gewesen war wie jetzt.
    Mit einem zweiten Taxi traf auch Polizeichef Han Bayan ein. Einer der Polizisten in Zivil begrüßte ihn wie einen guten, lang erwarteten Bekannten und flüsterte ihm dabei zu: »Es ist alles abgeriegelt. Er kann nicht entkommen.«
    »Dann wollen wir keine Zeit verschwenden!« Han Bayan ging aus dem Lokal hinaus in den Flur. Ein paar Herren folgten ihm. Es sah aus, als wollten sie zur Toilette. Die europäischen Gäste merkten nichts. Chin-hao-Chin atmete tief auf und versprach zum zwölftenmal, seit Dr. Haller bei ihm wohnte, dem goldenen Buddha von Rangun die besten Räucherstäbchen zu bringen.
    Bao Yin hockte neben der Tür und wartete. Wenn Haller hereinkam, lief er gleich in zwei Tode: in den scharf geschliffenen Dolch und den Kantenschlag der linken Hand. Vor Yins Brust baumelte an einem

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