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Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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in den Sessel. »Minbya? Siris Vater?«
    »Ich sagte ja, die Lage in Nongkai ist mehr als rätselhaft, vor allem jetzt, wo Sie mir von diesem Indin erzählt haben. Was denken Sie darüber?«
    »Man sollte Indin exhumieren und seine Todesursache feststellen.«
    »Ich werde es veranlassen.«
    Der Minister gab Haller Feuer, sie rauchten ein paar Züge wortlos und sahen sich nur an. Dann sagte der Minister plötzlich: »Sie können nachher Ihre Zulassung als Arzt mitnehmen, Dr. Haller. Es ist alles vorbereitet. Nur aus dem ›Roten Drachen‹ müssen Sie heraus. Ich kann Ihnen keine Approbation geben, wenn ich diese katastrophalen hygienischen Zustände in Ihrer Praxis zulasse. Im Regierungsviertel ist eine große Wohnung frei. Ich habe gedacht, Sie ziehen dort ein.«
    Dr. Haller legte die Zigarre weg. »Das ist sehr aufmerksam von Ihnen, Herr Minister. Aber ich verlasse meine Patienten nicht gern. Gerade diese armen Menschen brauchen mich.«
    Der Minister beugte sich vor und prostete ihm mit dem Fruchtsaft zu. »Es werden einige Minister zu Ihnen als Patienten kommen. Sie können ihnen nicht zumuten, auf der Treppe des Herrn Chin-hao-Chin zu warten. Den Anfang werde ich machen. Ich habe eine verschleppte Lungenentzündung …«
    »Man hört's. Sie pfeifen beim Sprechen.«
    Der Minister starrte Dr. Haller an. Seine Backenmuskeln traten hervor. »Ist das gefährlich, Doc?«
    »Ich vermute, Sie haben sich ein schönes Emphysema pulmonum angelacht. Eine langwierige Sache, Exzellenz.«
    »Sie können das heilen?«
    »Ich werde es lindern«, antwortete Haller vorsichtig. »Bei einem Emphysem sind Jubelprognosen unangebracht.«
    »Nach mir wird der Ministerpräsident zu Ihnen kommen! Soll er im ›Roten Drachen‹ in der Schlange von stinkenden Kulis stehen?«
    »Ein Ministerpräsident sollte sich vor seinem Volk nicht ekeln.«
    »Doc, ich glaube, durch Ihre Sturheit verbauen Sie sich eine große Chance. Überlegen Sie einmal: Ich bin bereit, Sie von der Vergewaltigung Bettina Berndorfs reinzuwaschen. Und der Ministerpräsident will Ihr Patient werden – was wollen Sie noch mehr?«
    »Nicht mehr. Ich will weniger, Exzellenz. Ich will zurück nach Nongkai.«
    »Sie können der reichste Arzt von Birma werden, Doc. Nach dem Ministerpräsidenten wird das halbe Parlament bei Ihnen aufmarschieren. Sie haben goldene Hände, das wissen Sie.«
    »Gott segne Ihre gute Meinung, Exzellenz. Aber ich bin ein todkranker Mann.«
    »Sie?« Der Minister lachte.
    »In Nongkai hatte ich bereits partielle Hirnausfälle. Auf rätselhafte Weise blieb nichts zurück – aber der nächste Schlag haut mich um.«
    »Sie?« Der Minister lachte wie über einen guten Witz.
    »Nongkai braucht mich. Ihr Emphysem kann jeder behandeln, und für das Rheuma des Herrn Ministerpräsidenten – wenn er's hat – gibt es hundert Salben. Aber die Leprösen da oben im Dschungel, die verrecken elend, wenn nicht einer bei ihnen ist, der für sie sorgt wie ein Vater für sein taubstummes Kind.«
    Der Minister zerdrückte seine Zigarre in einem großen Aschenbecher aus Jade. »Sie hoffnungsloser Idealist!« sagte er laut. »Aber ich bewundere Sie trotzdem, Doc! Gut. Untersuchen Sie unsere Minister der Reihe nach, und zwar in ihren Häusern. Stellen Sie einen Therapieplan auf. Wenn wir Sie brauchen, wissen wir ja, wo wir Sie erreichen können.«
    Dr. Haller verspürte ein heißes Kribbeln in den Armen. Er hielt sich an den Sessellehnen fest, seine Finger bohrten sich in den dicken Gobelinbezug.
    »Heißt das, daß ich nach Nongkai zurückkehren kann? Unter dem Schutz der Regierung?« fragte er.
    »Die Entscheidung wird der Ministerpräsident selbst fällen. Wir haben eine Stunde Zeit, Doc. Erzählen Sie mir schonungslos, was in Nongkai geschehen ist.«
    Und Haller erzählte. Das Gespräch dauerte nicht eine, es dauerte gute drei Stunden.
    Am Abend dieses Tages verließ der Henker Taikkys das ›Haus der sieben Sünden‹, setzte sich in einen kleinen Wagen und fuhr in die Stadt. Er hatte den Auftrag, sich um Dr. Haller zu kümmern.
    Auch geübte Berufsmörder haben einmal Pech. So wie einem Maurer ein Stein auf den Kopf fallen kann oder ein Schuster sich mit dem Hammer auf den Daumen schlägt, so lebt auch ein Arbeiter, der Menschen umbringt, in einem ständigen Risiko. Der Henker Bao Yin hatte bisher das Glück gehabt, sein Handwerk in einem geschlossenen Haus ausüben zu können, wo ihn niemand störte, wo er selbständig arbeiten und seiner Phantasie im Töten freien

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