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Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Baumwollfädchen die dünne Stahldrahtschlaufe. Diesen Tod hatte er für Siri reserviert. Er freute sich darauf. Immer nur Männer töten, war eine einseitige Sache.
    Schritte kamen die Treppe hoch. Ein Mann lachte, eine helle Mädchenstimme kicherte.
    Vor der Tür blieben Dr. Haller und Siri stehen. Dann traten sie lautlos zur Seite und gaben den Weg frei für fünf stämmige Polizisten. Als gingen sie auf Schmetterlingsfang, trugen sie große, in einen Drahtrahmen gespannte Netze in den Händen, das beste Mittel, einen Mann wie Yin gleich einem wilden Tier lebend zu fangen. Auch hier war die Überraschung der volle Sieg.
    Han Bayan nickte stumm. Die beiden ersten Polizisten rissen die Tür auf und warfen gleichzeitig ihre Netze nach links und recht. Auch Bao Yin schnellte vor, und wäre jetzt Dr. Haller ins Zimmer gekommen, sein Leben hätte nur noch eine Sekunde gedauert.
    So aber sprang Yin genau in das rechte Netz, stolperte und verfing sich mit der zustoßenden Hand in den Maschen.
    »Licht!« befahl Han Bayan.
    Zwei Scheinwerfer blendeten auf, drei weitere Netze schwappten über den um sich stechenden Bao Yin und machten jede Gegenwehr sinnlos. Wie einen Riesenfisch rollten die Polizisten Bao Yin in die Netze ein und trugen ihn zu dem Gefängniswagen.
    »Sie sehen, Doc«, sagte der Polizeichef Han Bayan stolz zu Dr. Haller, »daß auch in Birma die Gerechtigkeit schnell arbeitet. In einer Stunde werden wir wissen, wer der Auftraggeber ist.«
    »Das ist kein Geheimnis.«
    »Ich will es schriftlich haben!«
    »Taikky wird alles leugnen.«
    »Wer täte das nicht? Aber ein begründeter Verdacht reicht aus, auch ihn ernsthaft zu befragen.«
    Han Bayan klopfte Dr. Haller auf die Schulter wie einem alten guten Freund und ging dann seinen Polizisten nach.
    Ernsthaft befragen, dachte Haller. Wie höflich das klingt … und was steckt dahinter! Er zog Siri an sich. So unbändig sein Haß auf Taikky und vor allem auf Karipuri war – ihn schauderte doch, wenn er daran dachte, was Taikky erwartete.
    Später lagen sie eng aneinandergeschmiegt und nackt auf dem Bett. Die Katzen balgten sich wieder im Hinterhof und auf den mondsilbernen Dächern, aus Chins Küche kam der Duft einer starken Knoblauchspeise, Stimmengemurmel drang durch die Diele, das Restaurant war bis zum letzten Platz besetzt.
    »Laß uns weggehen, Chandra«, sagte Siri leise, »weit weg … in dein Land …«
    »Nach Deutschland? Unmöglich. In Deutschland bin ich ein Stück Dreck. Hier bin ich noch ein wenig Mensch! Ein Arzt ohne Approbation, mit zwei Jahren Zuchthaus auf dem Buckel wegen Abtreibung mit tödlichem Ausgang, weggejagt wie ein räudiger Hund von den Kollegen, der Ärztekammer, den Krankenkassen, der sogenannten ›Gesellschaft‹! Wenn ich zurückkäme, könnte ich den ehrbaren Beruf eines Müllkutschers ergreifen, aber in eine Arztpraxis ließe man mich nie wieder hinein!«
    Bis heute war es ein Rätsel geblieben, wie Dora Brander verbluten konnte. Keiner hatte es Dr. Haller abgenommen, daß er an jenem verhängnisvollen Abend gar keinen Eingriff bei Dora gemacht, daß er die Kürette überhaupt nicht angesetzt, daß er ein harmloses, in dieser Situation freilich niederträchtiges Theater gespielt hatte, aus dem sich niemals ein Abortus entwickeln konnte.
    »Ich sehe hier im Saal neunzehn Kollegen!« hatte Dr. Haller bei der Gerichtsverhandlung gerufen, als selbst sein Anwalt ihm geraten hatte, lieber die ›Wahrheit‹ zu sagen, weil das einen besseren Eindruck auf das Gericht machen würde. »Und ich frage Sie und mit Ihnen Millionen Kollegen in aller Welt: Kann ein Abortus entstehen, wenn man den Uterus nur anguckt?!«
    Niemand hatte gelacht, aber es hatte auch nichts genutzt. Röntgenbilder und Obduktionsbefunde ergaben einwandfrei einen infektiösen Abortus, hervorgerufen durch einen Eingriff. Dora Brander war verblutet … wäre sie es nicht, hätte sie eine Sepsis bekommen. So oder so: sie war von Dr. Hallers Hand vernichtet worden!
    Der Aufschrei eines Arztes gegen eine Massierung von Gutachten und das Präparat des perforierten Uterus … kein Gericht hätte anders entschieden!
    Nur in Haller blieb das Rätsel zurück: wie konnte in einem solchen Fall Untätigkeit zum Tode führen?
    »Hast du wirklich getötet?« fragte Siri leise. Sie küßte ihn, bevor er eine Antwort geben konnte.
    »Nein!«
    »Dann geh zurück und sag es allen!«
    »Sie werden es nicht glauben. Sie freuen sich, es nicht glauben zu können. Daran liegt

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