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Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Berghang war gelogen. Er hatte an Deutschland gedacht. An eine Praxis. Wenn nicht in einer Stadt, dann irgendwo auf dem Land. Vorher würde es noch einen wilden Kampf gegen die Bürokratie geben, gegen Vorurteile und Standesdünkel. Ein vorbestrafter Arzt das hieß gegen Gummiwände anrennen, an verrammelte Türen klopfen. Man konnte eine Bank ausrauben, konnte betrügen und erpressen, unterschlagen und stehlen, notzüchtigen und totschlagen – einmal stand man wieder draußen in der Sonne und hatte eine Chance zum Neubeginn. Ein vorbestrafter Arzt jedoch hatte diese Chance nie.
    Mit Siri traute er sich zu, nach Deutschland zurückzukehren. Mit Siri an der Hand war er sogar bereit, den großen Büßer zu markieren, den Gnadenbettelnden, den Almosenempfänger.
    Wieder in einer eigenen Praxis stehen und von vorn beginnen!
    Das war in der Nacht gewesen. Jetzt, als er, von Siri umschlungen, dastand, waren das alles Märchen, die er sich selbst erzählt hatte.
    Es gab nur noch Siri und Nongkai.
    An der OP-Tür klopfte es. Adripur! Haller löste sich von Siri.
    »Ein höflicher Junge«, sagte er und holte tief Atem. »Er muß weg aus Nongkai. Das Klima wird ihn umbringen. In seinen Lungen rasselt es wie Trommelwirbel …«
    Er stand auf, ging hinüber zu dem Waschbecken und tauchte die Hände mit den Gummihandschuhen in die Zephirollösung. »Kommen Sie rein, Adripur!« rief er dabei. »Hier steht ein OP-Tisch und kein Hochzeitsbett!«
    Die Doppeltür schwang auf. Pala rollte das Bett mit dem jungen Mann herein. Ihm folgte Adripur. »Ich habe eine Liste gefunden«, sagte er. Seine Stimme klang merkwürdig rauh. »Sie lag – anscheinend wollte sie jemand verstecken – im Chefarztzimmer in der linken Schreibtischschublade. Die hatte einen Doppelboden.«
    »Und den haben Sie aufgebrochen, was?«
    »Ja.«
    »Karipuri wird sich freuen. Wo ist er überhaupt?«
    »Vielleicht bei Taikky in der Verwaltung. Er kommt nie vor zehn ins Hospital, und er weiß ja nicht, daß wir operieren.«
    »Die Liste …«
    »Eine Aufstellung von Lieferungen des vergangenen Monats. Mit dem Material könnten wir alle Kranken problemlos versorgen, wenn wir es hätten.«
    Adripur hielt Haller die Liste vor die Augen. Sie enthielt alles, was das Hospital brauchte. Vom Narkosemittel bis zu konzentrierten Vitaminpräparaten. Die einzelnen Posten waren abgehakt und abgezeichnet. Es war kein Wunschzettel, sondern eine Lieferungsbestätigung.
    »Heute abend werden die Medikamentenschränke voll sein!« sagte Haller zufrieden. »Oder ich marschiere in den Sumpf und stelle mich als Krokodilfutter zur Verfügung.« Er beugte sich über den jungen Mann, betrachtete die zerstörte Gesichtshälfte und strich ihm über das krause schwarze Haar. Der Junge starrte ihn aus entsetzten Augen an.
    »Ein Adonis wirst du nie wieder werden«, sagte Haller. »Du wirst sogar ziemlich scheußlich aussehen, und es wird Mühe kosten, dich über die Runden zu bringen. Aber wir schaffen es. Ein halbes Gesicht ist besser als gar keins. Hast du ein Mädchen?«
    Adripur übersetzte, dann sagte er: »Ja, er hat ein Mädchen. Es trägt schon die Totenkleider.«
    »Aber warum denn, mein Junge?« Haller lachte. Pala und Adripur legten den Kranken auf den Tisch. »Sagen Sie es ihm, Sabu: Sein Mädchen soll sich freuen. Das Wichtigste an ihm schneiden wir nicht ab!«
    Bis gegen elf Uhr operierten Haller und Adripur wie am Fließband. Sie hatten gerade den fünften Leprösen unter den Händen, einen großen weißhaarigen Mann, dem sie alle Zehen amputieren mußten, als Taikky in den OP kam. Haller wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn.
    »Raus!« sagte er laut. »Erstens sind Sie nicht steril, und zweitens werden hier Menschen gerettet!«
    Taikky blieb stehen. Er trug einen rohseidenen Anzug, den seine Körperfülle fast zu sprengen schien. Er schien weit davon entfernt, beleidigt zu sein, aber sein Lächeln täuschte nicht darüber hinweg, wie gefährlich dieser Mann war.
    »Ich muß mit Ihnen reden, Haller«, sagte er.
    »Das hat Zeit bis zum Abend. Und wie wir miteinander reden werden! Stören Sie jetzt nicht.«
    »Dr. Adripur muß sofort aufhören! Er ist entlassen.«
    »Solche alten Hüte sollten Sie allein auffressen! Adripur bleibt hier. Ich bezahle ihn!«
    »Auch Sie werden abgelöst. Ich habe stundenlang mit der Regierung telefoniert. Irgendein übereifriger Beamter hat Mist gemacht, alles läuft verkehrt. Das sage ich Ihnen, weil auch Sie mit dem nächsten

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