Engel der Vergessenen
Hubschrauber ausgeflogen werden.«
»Sie sind ein Herzchen, Taikky!« Haller bückte sich und griff in den Eimer neben dem OP-Tisch. Adripur wurde bleich und gab Siri ein Zeichen, aber sie stand unbeweglich neben ihrem Instrumententisch. Haller blickte Taikky an, als ziele er. »Ist Ihnen noch nicht klargeworden, daß Sie mit mir den Mungo ins Haus geholt haben, der die Schlange vertilgt? Verschwinden Sie aus dem OP! Mir zittert die Hand, wenn ich Ihr Schwammgesicht sehe.«
Er richtete sich auf, sein Arm schnellte vor, und ein Gegenstand flog durch die Luft. Taikky reagierte gut. Er wich zur Seite, der Gegenstand klatschte gegen die Kachelwand und fiel dann auf den Boden: die amputierte Hand.
Taikky schluckte, seine Augen bekamen den Ausdruck eines erstickenden Fisches. Er verließ den Operationsraum, die Tür schlug hinter ihm zu, aber er öffnete sie gleich wieder so weit, daß man ihn hören, aber nicht mehr sehen konnte. »Sie Saukerl!« schrie er. »Mich blenden Sie nicht! Ihre Stärke ist nichts als Unsicherheit. Wer sind Sie denn? Was macht man denn mit Ihnen, wenn Sie nach Deutschland zurückkommen? Nur hier im Dschungel können Sie noch den großen Mann spielen! Aber mit mir nicht! Wir werden die Kranken informieren, wer ihr ›Engel‹ in Wirklichkeit ist!«
Haller legte die Kocherklemme weg, die er gerade in der Hand hielt. Dr. Adripur hielt ihn an der Gummischürze fest. »Doktor«, sagte er heiser. »Lassen Sie sich nicht provozieren.«
»Nehmen Sie die Hand weg, Sabu!« sagte Haller.
»Er will doch nur, daß Sie die Nerven verlieren.«
»Er soll es haben!«
»In der Sache können Sie etwas tun, da steht jede maßgebende Stelle zu Ihnen. Aber wenn Sie einen Beamten verprügeln, dazu noch als Weißer, haben Sie nirgendwo mehr Freunde, Doktor. Taikkys Einfluß geht bis zum Gouverneur. Hinter ihm steht eine ganze Organisation!«
»Auch das noch!« Haller ließ sich an der Schürze zum Tisch zurückziehen. »Hat auch Birma seine Mafia?«
»Etwas Ähnliches. Nur ist die Mafia dagegen ein gemütlicher Altherrenverein. Doktor, Sie kennen Asien noch nicht genug.«
»Sie Saufgenie!« schrie Taikky durch den Türspalt. Es schien, als habe er völlig die Kontrolle über sich selbst verloren. »Sie werden Besuch bekommen! Dr. Karipuri ist nach Homalin unterwegs, ihn abzuholen! Ich freue mich darauf. Die kurze Zeit, die Sie mit ihm zusammen leben werden, wird genügen, daß die Bewohner von Nongkai Sie aus dem Dorf prügeln!«
Der Spalt wurde etwas breiter, man sah Taikkys fettes Gesicht. »Siri! Du wirst ihn vergiften, diesen Besuch! Ich weiß, daß du ihn vergiften wirst. Eine Frau kommt nach Nongkai …«
»Eine Frau?« Dr. Haller winkte ab. »Sie müssen mich für reichlich dämlich oder für superpotent halten, Taikky! Von mir aus können Sie mir die schönste birmesische Prinzessin ins Bett legen, sie bleibt für mich eine Patientin.«
»Eine weiße Frau!« Taikkys Lachen klang aufreizend und gemein. »Mit blonden Haaren, groß, schön, mutig, klug!«
»Sie sind verrückt!«
»Eine deutsche Krankenschwester, Dr. Haller. Bettina Berndorf. Aus Hamburg. Siri wird sie vergiften!«
»Halten Sie die Schnauze!«
Die Tür klappte zu. Haller beugte sich über den narkotisierten Mann. Es waren noch zwei Zehen zu amputieren. Eine deutsche Krankenschwester. Nach Nongkai. Ein Stück Heimat kam in den Dschungel. Bettina Berndorf.
Vor seinen Augen erschien eine kleine dunkle Hand und reichte ihm die Präparierschere. Es war keine ruhige Hand mehr. Sie zitterte leicht.
»Keine Angst, Siri«, sagte Haller und versuchte zu lächeln. »Keine Angst! Deutsche Krankenschwestern gibt es überall, warum nicht auch in Nongkai?«
Und während er es aussprach, dachte er: Bettina aus Hamburg. Wie sieht Hamburg heute aus? Ist Professor Holtzmann noch in Eppendorf? Gibt es noch unser Stammcafé auf der Großen Bleichen?
»Pinzette.« Siri drückte sie zwischen seine Finger. Für eine Sekunde hielt er Siris Hand fest, ohne aufzublicken. Er beugte sich tiefer über die zerstörten Zehen.
Die Operation ging weiter.
Kurz nach siebzehn Uhr traf Bettina in Nongkai ein.
Die Fahrt durch den Dschungel, über die schmale, in das Urgewächs geschlagene Straße, die man nur wegen des Lepradorfes angelegt hatte, die lautlose Wegbegleitung der Tiger, deren gestreifte Schatten sie im Gewirr des verfilzten Unterholzes ab und zu vorüberhuschen sah, und die Schweigsamkeit von Dr. Karipuri verstärkten in Bettina den deprimierenden
Weitere Kostenlose Bücher