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Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
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Sie wurde von etwas festgehalten.
    Sie schielte hinter sich. Hände lagen auf ihren Schultern. Sie drehte den Kopf.
    War das nicht Tom Kozelek, der hinter ihr kauerte? Ein eigentümlicher Geruch ging von ihm aus. Er hielt sie mit großen, sanften Händen und hinderte sie am Gehen.
    Seien Sie beruhigt, sagte er in ihrem Kopf. Ein Mann kommt.
    Dann ließ er sie los und verschwand unbemerkt, wie er gekommen war. Ihr war, als hörte sie ein Plätschern unweit von ihr.
    Aber bewegen konnte sie sich immer noch nicht. Wahrscheinlich lag es einfach an ihren halb erfrorenen Beinen.
     
    Ich hatte schon drei Viertel des Weges geschafft, als ich ins Rutschen kam. Ich rutschte, wie wenn ich mit Schuhen aus Eis über eine Eisfläche glitt. Ich streckte die Hände nach vorn und betete.
    Am anderen Ende landete ich in dichtem Gestrüpp. Ich packte zu und hielt mich daran fest, während ich mit den Beinen wie ein Hund zappelte. So hangelte ich mich durch Felsen, Wurzeln und Schnee, bis ich an eine Stelle gelangte, wo ich festen Boden unter die Füßen bekam.
    Dann lief ich los. Die Lungen taten mir nicht mehr weh, auch Rippen, Rücken und Schulter spürte ich nicht. Meine Füße fanden jeden Tritt, als ob ich über eine gemähte Wiese liefe; Sträucher wichen wie Traumgespinste, und zwischen den Bäumen öffnete sich ein Weg, als ob er schon immer dort gewesen wäre. Wegen des Schneegestöbers konnte ich wenig erkennen, aber meine Füße trugen mich sicher – wenn ich nur rechtzeitig dort wäre …
    Für eine kurze Strecke, vielleicht fünfzig Meter, ging es bergauf, dann bog ich rechts ab und lief direkt auf den Rand der Schlucht zu, den ich jetzt sehen konnte. Ich lief geduckt, aber schnell, ohne mich um Geräusche zu kümmern. Für lautloses Anpirschen hatte ich keine Zeit.
    Am Rand angekommen, rutschte ich bis zu einem Baum und ging in die Hocke. Ich zog meine Pistole und lud sie neu. Dann holte ich tief Luft und stand auf.
    »Hallo, Ward«, ließ sich eine Stimme von unten vernehmen. »Ich habe schon auf dich gewartet.«
    Ich postierte mich hinter dem Baum und spähte in die Schlucht unter mir.
    Am Fuß der Felswand lag jemand, den Oberkörper aufgerichtet und mit einer Pistole am ausgestreckten Arm. Erst dachte ich, es sei Paul, dann erkannte ich John und begriff, dass nicht er nach mir gerufen hatte.
    Diagonal zu ihm stand vielleicht zehn Meter entfernt Nina im Wasser des Flusses. Sie hatte eine merkwürdige Haltung. Das lag, wie ich jetzt sah, daran, dass ein Mann sie mit einem Arm festhielt, während er mit dem anderen eine Pistole an ihre Schläfe drückte. Es war Paul.
    »Lass sie los«, rief ich.
    »Erst, wenn ich mit ihr fertig bin.«
    »Ich schieße.«
    »Das glaube ich nicht. John kann nicht, und du auch nicht.«
    Damit hatte er recht. Er hatte sich so mit dem Rücken zur gegenüberliegenden Wand der Schlucht gestellt, dass weder John noch ich auf ihn schießen konnten, ohne Nina zu durchlöchern.
    Ich schaute sie an. »Tu’s trotzdem, Ward«, sagte sie.
    Ich trat einen Schritt zurück. Paul schoss, und zuerst dachte ich schon, er habe Nina umgebracht, doch dann begriff ich, dass er blitzschnell die Pistole auf mich gerichtet und abgedrückt hatte. Die Kugel pfiff knapp an meinem Kopf vorbei. Unmittelbar darauf hielt er die Pistole wieder an Ninas Schläfe.
    »Ja, tu’s nur«, ermunterte er mich. »Na los, du bist dran.«
    »Ward, jetzt knall ihn doch ab«, schrie John.
    »Ich habe nicht den richtigen Winkel.« Ich wusste nicht, was tun. Ich machte ein paar Schritte zur Seite, aber Paul konnte alles sehen. Er veränderte seine Position ebenfalls, so dass er weiterhin in Deckung vor John und mir blieb.
    »Was hast du vor?«, rief ich. »Willst du rückwärts bis nach Seattle gehen? Das ist verdammt weit, sage ich dir.«
    Als Antwort lachte er nur.
    Für ihn war es ein Spiel. Er hatte gewusst, dass ich kommen würde, und hatte auf mich gewartet. Nun wollte er, dass einer von uns den schrecklichen Fehler beging und den Schuss abgab.
    Falls nicht, würde er es ohne mit der Wimper zu zucken selber tun. Danach hieße es: er gegen mich und einen Mann, der offenbar angeschossen am Boden lag. Nicht dass ich John in mein Herz geschlossen hätte, aber ich wollte doch nicht, dass ihm der Kopf weggepustet würde.
    Gerade in dem Augenblick feuerte John.
    Er schoss daneben. Paul wich nur einen Schritt zurück, Nina weiterhin fest im Griff.
    Ich schaute die Schlucht hinauf und begriff, wenn er sie jetzt tötete und dann

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