Engel des Todes
beiderseits der Straße nichts gab, denn die Indianer wohnten zusammengepfercht in ein paar elenden Siedlungen im Norden. Ferner erfuhr ich, dass der Ort, der sich jetzt Union Gap nannte, früher einmal Yakima hieß. Die Eisenbahngesellschaft hatte die Indianer genötigt, ihren Stammessitz ein paar Meilen nach Norden zu verlegen, und anfänglichen Widerstand mit dem Angebot kostenlosen Landes gebrochen. Schmiergelder spalteten die Indianer untereinander, wie es Hunger und eisige Winter niemals vermocht hatten. Oberhalb des Dalles-Staudamms sollen früher einmal die Celilo-Wasserfälle gedonnert haben, eine reißende Flut über einem Felsgesims, wo Menschen seit zehntausend Jahren Lachse gefangen hatten. Nun herrschte Grabesstille über den aufgestauten Wassermassen. Dollarnoten gingen von einer Hand in die andere, aber die Indianer warteten immer noch auf eine angemessene Entschädigung für ihren Verlust. Es sah ganz so aus, als müssten sie noch lange warten, womöglich bis ans Ende der Zeiten.
Wie wohl die meisten, wusste auch ich nicht, was ich mit diesem Wissen anfangen sollte. Der Barmann war indianischer Herkunft, hatte kurzes blondes Haar, das er sich wie ein Popstar der achtziger Jahre nach oben frisiert hatte, und trug eine Menge Make-up. Auch was ich davon halten sollte, war mir nicht klar.
Zandt hatte eine Landkarte ans Armaturenbrett geklebt. Die Karte war an den Ecken eingerissen, vorn war sie mit Fett verschmiert.
Offenbar hatte sie jemand lange in der Tasche getragen und mit schmutzigen Händen angefasst. Mitten auf einer großen leeren Fläche, neben einer mäandernden blauen Linie, war ein Kreuzchen angebracht.
»Woher hast du das?«
»Ein Anruf, der unter einer Denunziantennummer des FBI einging. Der Hinweis war schon für den Papierkorb des Computers bestimmt – der Typ war total betrunken und schien nur wirres Zeug zu reden –, aber Nina hat den Hinweis herausgefischt.«
»Warum?«
»Weil es sich völlig abgedreht anhörte, aber sie weiß, dass das nicht unbedingt für die Unwahrheit spricht.«
»Wie hast du ihn ausfindig gemacht?«
»Diese Achthunderter-Nummern sind nicht so anonym, wie das FBI immer vorgibt. Nina hat den Anruf zurückverfolgen lassen. Er kam aus einer Bar in South Dakota. Ich fuhr hin und wartete, bis der richtige Mann auftauchte. Das hat eine Weile gedauert.«
»Und?«
»Der Informant heißt Joseph. Er ist in Harrah aufgewachsen, einem Kaff ein paar Meilen westlich von Yakima. Du weißt, dass wir hier auf Indianerterritorium sind?«
»So öde, wie es hier aussieht, kann es gar nichts anderes sein. Wir waren ja so großherzig zu diesen Kerlen, dass man sich wundern muss, dass sie uns nicht um den Hals fallen.«
»Sie haben nun mal hier gelebt. Es ist nicht unsere Schuld, dass es hier aussieht wie auf dem Mond. Joseph war vor einer Woche hier auf Familienbesuch und machte eine Wanderung. Eine lange Wanderung. Er ist mehrere Nächte nicht nach Hause gekommen. Ich sollte vielleicht sagen, dass Joseph äußerlich den Trinker nicht verleugnen kann, und auch seine Armbeugen sehen böse aus. Aber er wusste genau, wo er gewesen ist.«
»Warum hat er sich nicht an die normale Polizei gewandt?«
»Ich glaube nicht, dass er mit der hiesigen Polizei auf gutem Fuß steht. Deswegen war er ja in South Dakota.«
»Aber dann hat er dein fesches Bärtchen gesehen, und sofort war er entschlossen, dir zu vertrauen.«
Zandt schaute zur Seite. »Ich hatte gehofft, du merkst es nicht.«
»Mann, das war das Erste, was mir aufgefallen ist. Und ich habe noch nicht mal angefangen, darüber zu lästern.«
»Nina gefällt es.«
»Wahrscheinlich mag sie auch Lederhandtaschen. Was nicht heißt, dass du eine auf dem Kopf tragen musst. Aber wo steckt dieser Joseph jetzt eigentlich?«
»Verschwunden. Er hat zweihundert Dollar in der Tasche, und ich glaube nicht, dass er mit irgendjemandem darüber spricht. Er war schon jetzt ganz durch den Wind. Dachte, ein Gespenst gesehen zu haben.« Zandt zuckte die Achseln, als ob ihm die Worte für so viel Dummheit fehlten.
Ich wandte den Kopf zum Fenster, ehe er meinen Gesichtsausdruck lesen konnte.
Eine halbe Stunde hinter Toppenish sah es wirklich wie auf einem anderen Planeten aus. Vielleicht hat es früher einen Grund gegeben, hierher zu kommen. Jetzt gab es jedenfalls keinen mehr. Keine Bäume, nur nackte Bergkuppen und kleine Schluchten, dazu niedriges Gestrüpp und bleiches Gras unter Resten von Schnee, der vergangene Woche gefallen
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