Engel des Vergessens - Roman
zurückgelassen hat. Sie werden sich dem Unwiderruflichen beugen, die Väter werden ihre Söhne schlagen, die Söhne werden ihre Väter verachten, die Töchter werden ihre Väter fürchten, die Ehemänner werden ihren Frauen den Mund verbieten.
Die erkalteten Anwesen werden zu bröckeln beginnen, aber die Weggegangenen werden ihre Angst nicht zurücklassen können. Sie werden vom kleinen, überschaubaren Glück träumen, von der Möglichkeit, Ruhe und Arbeit zu finden, ein Auskommen zu haben, zu heiraten, Kinder großzuziehen. Sie werden das Gefühl haben, der unglückseligen Zeit endlich entkommen zu sein. Nur manchmal werden sie von den Bildern ihrer verstorbenen oder umgebrachten Eltern eingeholt werden, wie von Gedankenblitzen, die ihnen in die Knochen fahren. Sie werden das Gefühl haben, von Geistern gestreift worden zu sein, die Vorhänge schließen zu müssen, sich hinsetzen zu müssen, nach einer Zeit benommen aufzustehen und die Fenster zu öffnen, um der Welt draußen gewahr zu werden, um sich über die Fußgänger zu freuen, über die Häuser und die begrünten Balkone, über die Straßen oder die Stille in ihren Zimmern. Sie werden von der Gegenwart überwältigt werden und ihr verwundetes Gesicht in eine Schachtel räumen, es zu den verblichenen Fotos packen, das Sonntagsgesicht hervorkehren, das der Zuversicht entgegenblickt.
* * *
Vater wird die Herausforderung annehmen und vor sein Elternhaus treten. Er wird mit Großvaters Hilfe die Fenster und Türen erneuern, das Dach. Er wird die ersten Tiere in den verwaisten Stall stellen. Der Krieg wird ihn verwandelt haben. Mit zwölf Jahren wird er das Gefühl haben, vertraut zu sein mit der Gewalt und der Todesangst. In der Nacht wird er schreiend auffahren aus seinem Bett. Er wird sich Großvaters Flüche anhören, wird, als die Partisanenfunktionäre vorbeischauen, um Großvater davon zu überzeugen, seine Buben doch in die Schule zu schicken, nicht in die Schule gehen wollen. Er wird mit seinem Vater im Wald arbeiten können. Er wird sich mit fünfzehn Jahren eine Axt ins Knie hacken und auf dem Weg nach Hause, den er allein gehen wird müssen, mehrmals in Ohnmacht fallen und beinahe verbluten. Er wird wochenlang im Krankenhaus liegen und im Liegegips von seinen übermütigen Zimmernachbarn aus dem Bett geworfen werden. Er wird neu eingekleidet werden von den Eltern. Der neue Anzug wird nicht zu seinen klobigen, genagelten Schuhen passen. Er wird Klarinette spielen lernen und auf Hochzeiten musizieren. Er wird, wie man sagen wird, ein lustiger Bursche sein, wird sich mit dem ersten verdienten Geld ein Motorrad und eine Lederjacke kaufen, mit dem Motorrad dann doch zur slowenischen landwirtschaftlichen Schule nach Föderlach fahren. Er wird in die Schule gehen und Aufsätze schreiben, die ersten Aufsätze über Ackerbau und Tierzucht und Waldpflege.
Er wird Theater spielen, er wird auf der Bühne des Pfarrhauses stehen und einen Wirt mimen mit aufgeklebtem Oberlippenbart und weißer Schürze, er wird einen Polizisten spielen, der ihn nicht bedroht. Er wisse nicht, ob er für das Theaterspiel tauge, wird er sagen, wenn er gerade wieder die Leute zum Lachen gebracht haben wird, wenn er gerade seinen Rausch ausgeschlafen haben wird.
Er wird die Jagdprüfung machen und nicht mehr wildernd durch die heimatlichen Jagdreviere streifen. Er wird sich verlieben und die junge Karla heiraten wollen, man brauche auf dem Hof eine fleißige Hand, wird Großmutter sagen, denn es sei an der Zeit, den Hof zu übergeben. Er wird am Hochzeitstag die Kälte in sich aufsteigen spüren, die Lähmung, die ihn schon als Kind erstarren ließ, die Fremdheit, die Angst davor, zu zweit oder zu dritt oder zu viert zu sein. Er wird das Gefühl haben, sich eine Magd zur Frau genommen zu haben, die ihm nicht helfen kann, er wird sich nicht freuen wie am Tag der Verlobung, er wird seine Frau nicht zum Tanzen auffordern, nicht nach ihr suchen, als sie sich im Klo einsperrt und weint. Er wird sie verletzen wollen, er wird sie von sich stoßen, von Anfang an, damit alles so bleibt, wie es ist, damit seine Frau die Verzweiflung kennenlernt und ihre Liebe geprüft wird. Er wird in den Wäldern der Nachbarn arbeiten und ein Zubrot verdienen, er wird jahrelang in kalten Wintern mit seinem Pferd das Langholz aus den Grafenwäldern streifen. Er wird seine Kinder beim Spielen beobachten und nicht wissen, ob er sie fürchten oder herzen soll.
Er wird bei den Nachbarn sitzen und Geschichten
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