Engel sterben
Entführung, oder? Davon habe ich nichts mitbekommen, wie gesagt. Und den Rest hat Ihnen ja die Mutter des Mädchens ganz zutreffend beschrieben, das war schließlich so ausführlich im Fernsehen zu hören, dass es auch mir nicht entgangen ist. Alles, was ich wusste, wussten Sie also auch schon.«
Während der Ausführungen Meneks hat Silja begonnen, in einer Kladde auf ihrem Schreibtisch zu blättern. Jetzt scheint sie gefunden zu haben, wonach sie gesucht hat.
»Bastian, kommst du gerade mal?«
Als er in die Aura ihres Parfüms eintritt, hat Bastian Mühe, sich auf die Schrift zu konzentrieren, auf die ihr Zeigefinger weist. Er bückt sich hinunter und atmet tief den Duft ihres Haares ein. Rosmarin mit einer Prise Zimt. Silja hat die Seite mit den Personenbeschreibungen der Parkplatzzeugen aufgeschlagen. Eine davon trifft ziemlich genau auf den Zauberer zu. Dunkles Haar, im Nacken mehr als kragenlang, halbmondförmige Geheimratsecken, eine leicht gebogene Nase, schmale Lippen. »Ein Zigeunerkopf« hat der Zeuge seine Beschreibung zusammenfassend charakterisiert und sich damit nicht unbedingt das Wohlwollen der Vernehmenden gesichert. Und jetzt stellt sich heraus, dass gerade dieser »Zigeunerkopf« sich hier materialisiert hat.
»Immerhin«, ist alles, was Bastian Kreuzer zu Siljas Fund bemerkt. Auch sie hat ein perfektes Pokerface aufgesetzt, denn Menek lässt den Blick nicht von den beiden Beamten.
»Darf man fragen, was Sie da vor sich haben?«
»Eine Zeugenaussage«, antwortet Bastian knapp. »Man hat Sie auf dem Parkplatz beobachtet und Ihr Verhalten ziemlich genau beschrieben. Steht alles hier in den Akten.«
»Na, dann wissen Sie ja, dass ich allein in meinem Wagen gesessen habe.«
Bastian schweigt.
»Oder wissen Sie das nicht?« Menek windet sich unter dem langen, nachdenklichen Blick des Oberkommissars. »Jetzt sagen Sie bloß nicht, da hat jemand behauptet, die Kleine habe mit mir im Wagen gesessen.«
»Ich möchte mich dazu im Augenblick nicht äußern. Vielmehr würde ich Sie jetzt bitten, uns mitzuteilen, was Sie am Samstagnachmittag bis in den Abend hinein getan haben.«
»Samstag …« Menek bricht ab. Er ist sichtlich verwirrt und muss die Botschaft in Bastians Worten erst einmal verdauen. Für Sekunden schließt er die Augen, wie um sich zu sammeln. Dann fährt er fort. »Also, am Samstag war ich am Strand. Wenn ich mich recht erinnere, den ganzen Tag lang. Es ist ja so traumhaftes Wetter zurzeit.«
»Und wo genau waren Sie am Strand?«
»In Hörnum, glaube ich.«
»Glauben Sie.«
»Nein, nein, ich weiß es genau. Dort ist es nicht so voll wie überall sonst auf der Insel. Vor allem nicht am FKK -Strand. Den Tipp habe ich von meiner Wirtin bekommen. Ich weiß noch, dass ich dachte, das hätte sie ja auch mal früher sagen können.«
»Und Sie haben sich wieder keinen Strandkorb gemietet?«
»Nein, gibt’s da gar nicht. Ein Handtuch reicht mir auch.«
»Haben Sie mit irgendjemandem geredet?«
»Nicht dass ich wüsste.«
»Und wann haben Sie den Strand verlassen?«
»So gegen sieben, würde ich sagen.«
»Genau wissen Sie das aber nicht?«
»Wer sieht schon auf die Uhr, wenn er Ferien macht.«
»Und was haben Sie dann getan?«
»Ich bin zurück aufs Zimmer. Ich hatte mich nämlich verbrannt.«
Lothar Menek zieht die Ärmel seines weiten Oberhemdes hoch und weist auf seine beiden stark geröteten Unterarme. Dann kommentiert er cool: »Den Anblick meines Nackens würde ich Ihnen gern ersparen.«
Kreuzer nickt. »Schon gut. Sie sind also zwischen sieben und sagen wir mal zehn nach sieben am Samstagabend vom Hörnumer Strand zurück in Ihre Pension gefahren?«
»Nicht gefahren, gegangen. Ist zwar ein Fußweg von einer halben Stunde, aber die Parkplätze sind immer rappelvoll.«
»Ihr Wagen hat demzufolge den ganzen Tag vor der Pension auf dem Parkplatz gestanden?«
»Ja, hat er. Und zwar offen, was meine Wirtin noch dazu veranlasst hat, mich wegen meiner Leichtfertigkeit zu schelten.«
»Wann war das?«
»Als ich vom Strand zurückkam, bin ich ihr genau in die Arme gelaufen. Sie war ganz erleichtert, dass ich jetzt das Dach schließen konnte, denn der Sturmregen vom Vortag saß ihr noch in den Knochen.«
»Sie haben also das Autodach geschlossen. Und dann?«
»Bin ich hoch auf mein Zimmer. Der Sonnenbrand wollte versorgt werden.«
»Ihr Wagen stand weiterhin unten auf dem Parkplatz?«
»Ja, natürlich.«
»Okay, Herr Menek. Wir werden das überprüfen. Bis dahin
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