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Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)

Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Haderer
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Ministrant … bei den Pfadfindern, das hatte er erwähnt, aber Messdiener … im weiten weißen Kleid, konzentriert die lange Kerze balancierend, der Blick heilig und ernst.
    Und dann das Bild, das Bergmann völlig vereinnahmte: Schäfer am Schoß seines Großvaters, die Hände am Lenkrad eines Traktors, im Hintergrund ein frisch gemähtes Feld, Wald, Berge; auf den ersten Blick die Aufnahme eines professionellen Fotografen: die Lichtkringel der Gegensonne am linken oberen Bildrand, die selbst gedrehte Zigarette im Mundwinkel des lachenden alten Mannes, der energische Zugriff des Jungen im gestreiften T-Shirt auf die vergleichsweise riesige Plastikkurbel; mit ziemlicher Sicherheit hatte jedoch Jakob auf den Auslöser gedrückt, da zwei weitere Bilder ihn und Schäfer in Abwesenheit des Großvaters auf dem Traktor zeigten. Ewig verharrte Bergmann in der Betrachtung dieses Bildes, er wollte Teil dieses Szenarios werden, barfuß über das stachlige Feld laufen, sich in einem Heuschober verstecken, Kälber füttern … seltsame Sehnsucht, die er nach dem Leben auf diesem vierzig Jahre alten Foto verspürte, hatte er doch in seiner eigenen Kindheit keinerlei Bezug zur Landwirtschaft gehabt … es musste ja nicht diese Welt sein … eine Fahrt mit seiner Mutter zum Supermarkt würde reichen, sie sanft lächelnd, er zappelig auf dem Beifahrersitz, voller Aufregung wie immer kurz vor Eintritt in diese bunte Wunderwelt, die nur ein paar Kilometer entfernt von dem Dorf lag, in dem er aufgewachsen war, und doch so wenig damit zu tun hatte … verrückte Vergnügungsfahrt im Einkaufswagen, die ihn zwischen den hohen Regalen begeistert aufkreischen hatte lassen … all das, bevor die Kindheit zerbrach, bevor die Geborgenheit torpediert worden war und leckschlug, bevor der Stiefvater in ihr Leben trat, sie umzogen, nun zwar in ein Haus, in dem er sogar ein eigenes Zimmer hatte … aber wozu … um allein zu sein und zu ahnen, zu befürchten, zu wissen, dass all das, was er jetzt, in seinem Büro, so schmerzlich vermisste, für immer verloren war.
    Bergmann klappte das Album zu und legte es in die oberste Lade seines Rollkastens, in die verschließbare. Den Rest der Schachtel: später; alles auf einmal würde ihn im Galopp noch tiefer ins Jammertal reiten. Dieser Schreyer. Über irgendeinen schrägen Instinkt musste er verfügen; einen animalischen Kompass, der alles zutiefst Menschliche magnetisch anzog; wie sonst hätte er diese Kiste füllen können, Bergmanns persönliche Pandora. Verdammt, was war heute los mit ihm? Diese Schwermut war nicht seins; das war Schäfers Job; aber vielleicht lag es gar nicht an dessen Psyche; vielleicht lag es an ihrem Beruf und an diesem Büro, wo sie sich parasitär eingenistet und Schäfer als Wirt ausgesucht hatte; und jetzt, wo dieser sich entzogen hatte, griff sie auf den Nächstbesten zu, besetzte Bergmann wie ein Dämon. Er erinnerte sich an einen Fall von vor etwa fünf Jahren: Eine entfernte Bekannte hatte sich umgebracht, nachdem ihr bei einer obskuren Spielart einer Familienaufstellung mitgeteilt worden war, dass ihr eigenes Selbst längst erloschen war und nur mehr die Fremdbesetzung in ihr existierte. Gegen die Veranstalterin dieses Psycho-Seminars, eine selbst ernannte Schamanin, war Anzeige erstattet worden; zu einem Verfahren kam es nie, da die Verstorbene erwiesenermaßen schon zwei Selbstmordversuche hinter sich hatte, und wie alle anderen Teilnehmer zu Beginn der Veranstaltung eine Zustimmung unterschrieben hatte, dass sie die Verantwortung für alle Folgen des Seminars übernähme, dessen Besuch keine ärztliche Behandlung ersetzen konnte et cetera. Bergmann hatte sich bemüht, den Fall einem anderen Staatsanwalt zu übergeben. Vergeblich; was in ihm kurzzeitig den Wunsch geweckt hatte, diese Psycho-Schlampe zu erschießen oder ihr zumindest die Kniescheiben zu zertrümmern.
    Er schlug mit der Faust auf den Schreibtisch, als wäre er ein Vater, der sein lärmendes Kind zur Räson bringen wollte: Schluss jetzt mit der blöden Toberei! Bruckner erhörte ihn. Der Leiter der zweiten Ermittlungsgruppe rief an und fragte, ob Bergmann Zeit hätte, einen Einsatz zu übernehmen: ziemlich sicher eine schnelle Geschichte; in einer Wohnung im 2. Bezirk war ein Mann von einem herabfallenden Luster oder etwas in der Richtung getötet worden; wahrscheinlich hatten die Arbeiter Mitschuld, die am Dach herumgewerkt hatten; die hatten allerdings behauptet, einen Schuss gehört zu haben; na ja,

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