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Engelsberg

Engelsberg

Titel: Engelsberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinaldo Arenas
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Gabriel de la Concepción Valdés, der zusammen mit Cecilia im Findelhaus aufwuchs, und Francisco Manzana, der sich nach seiner Freilassung jetzt den Lebensunterhalt als Konditor verdient und dessen Leckereien, nebst allen nur erdenklichen Speisen und Getränken, am langen Tisch im Speisezimmer gekostet werden können.
    Das Orchester hält für einen Moment inne, und José Dolores Pimienta eilt zu seiner geliebten Cecilia, um sie mit den Worten »meine kleine Bronzejungfrau« zu begrüßen, eine Bezeichnung, die Cecilia überhaupt nicht behagt, gemahnt sie sie doch an ihre schwarzen Vorfahren. Und in ebendiesem Augenblick auch ergreift der schöne Jüngling, der Leonardo Gamboa noch ist, Cecilias Hand und küsst sie ehrerbietig vor José Dolores’ bestürzten Augen.
    Als genügte das nicht, wendet sich Cecilia dem Mulatten zu und weist ihn zurecht:
    »Ein Mann sollte zu seinem Wort stehen!«
    »Ich habe immer Wort gehalten«, stammelt José Dolores verwirrt.
    »Ach, ja?«, gibt Cecilia zurück, während sie sich mit der einen Hand frische Luft zufächelt und mit der anderen Leonardos Hand hält. »Und der Kontertanz, den zu spielen Sie mir versprochen haben?«
    Als das Publikum, das sich bei den gestelzten Menuetten schon zu langweilen beginnt, hört, dass Cecilia um einen Kontertanz bittet, rufen alle: »Ja, ja, Kontertanz, Kontertanz, wir wollen was Modernes.« Woraufhin José Dolores Pimienta nicht nur seine Angebetete den Armen seines Rivalen überlassen, sondern zudem noch einen schönen Kontertanz spielen muss, damit die beiden ihn tanzen.

Kapitel 9 José Dolores
    Schon als Junge hatte sich José Dolores Pimienta in Cecilia Valdés verliebt, und da er wusste, wie ehrgeizig das junge Mädchen war, hatte er mehrere Berufe erlernt, vom Schneider bis zum Organisten der Kirche auf dem Engelsberg, vom Orchesterdirigenten bis zum Hutmacher und Verkäufer von Hanfschuhen. Mit all diesen Arbeiten sorgte er für Nemesia Pimienta und hatte außerdem etliche Unzen Gold für die Hochzeit gespart – wenn sich Cecilia denn endlich entschließen würde, ihn zu heiraten.
    Und ausgerechnet an diesem Abend, da Nemesia zufolge Cecilia kurz davor war, ihm das Jawort zu geben, kommt dieser reiche, weiße junge Herr, und er, der Mulatte, muss nicht nur stumm danebenstehen, sondern soll bei seinem Unglück auch noch die Musik spielen.
    Und was für eine Musik! Wahrhaft berauschende, flotte Kontertänze, die jeden mitrissen. Dann ging es weiter mit kubanischen Tänzen, die noch feuriger waren, sodass alles zu einem einzigen Wirbelwind von unermüdlich dahinfliegenden Füßen wurde.
    Getanzt wurde im festlich beleuchteten großen Salon, in den weniger hellen Zimmern, in den dunklen Fluren, im Innenhof und im Garten und nun gar auf der nachtschwarzen Straße.
    Da es geregnet hatte, war das ganze Haus inzwischen ein fast undurchdringlicher Morast, den die eleganten Frauen mit ihren langen Kleidern und die Männer mit ihren schon fleckigen Schnürstiefeln wieder und wieder aufwühlten.
    Inmitten dieser Raserei von Paaren, die zueinanderfanden und sich wieder lösten, konnte Pimienta, der nicht aufhörte, die Klarinette zu spielen, Cecilia und Leonardo sehen, wie sie einander eng umschlangen. Bei einer der jähen, dem Rhythmus gehorchenden und von den Tänzern vorangetriebenen Drehungen sauste das Paar wie eine Feuerkugel an dem Musiker vorbei, der durch den tosenden Lärm des Orchesters hindurch Leonardos Stimme vernahm, dessen Worte ihn wie ein Peitschenhieb trafen: »… und vergiss nicht, die Tür einen Spalt offen zu lassen, damit ich zu dir kommen kann, wenn die Alte fort ist.« – »Ja«, antwortete Cecilia und schmiegte sich an Leonardos Jackett, das noch dazu er, José Dolores Pimienta, unter Schneider Uribes Anleitung genäht hatte.
    Da geschah es, dass der Mulatte, ergriffen von unstillbarem Schmerz, die Klarinette mit solcher Kraft und Meisterschaft spielte, ihr so wunderschöne Harmonien entlockte, dass selbst die Leute, die auf der Straße vorbeikamen, aus ihren Tilburys stiegen (wenn sie denn mit diesen leichten, eleganten Kutschen teils mit, teils ohne Verdeck unterwegs waren) und zu tanzen begannen.
    Bei diesem Fest wusste man schon nicht mehr, wer eingeladen oder wer von selbst auf den Geschmack gekommen war. Die Musik aus José Dolores Pimientas Instrument hatte von allen Besitz ergriffen. Getanzt wurde auch auf den Stühlen, dem Brunnenrand, den Treppen, dem Dach und den Bäumen. So sehr drängte sich die

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