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Engelsberg

Engelsberg

Titel: Engelsberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinaldo Arenas
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des Romans, in dem sie ein unscheinbarer Mosaikstein war, ihre Tragödie interessierte.
    Nemesia Pimienta war ihm gleichgültig, und wie alle benutzte auch er sie nur. Nicht einmal eine Liebe, die so grenzenlos und verzweifelt war wie ihr ganzes Leben, nahm einen Platz (auch keinen noch so kleinen) in der anmaßenden Serie von Kapiteln ein, die o. g. Autor verfasste und ausgerechnet Von der Liebe überschrieb. Und dennoch war ihre Liebe, protestierte Nemesia, viel größer als die aller übrigen im Roman versammelten Personen. Unendlich viel größer! Aber sie sah, wie sich ihr der seelenlose Schreiber des Werks bedrohlich näherte. Nein, sie konnte kein einziges weiteres Wort hinzufügen, niemandem würde sie weiter von ihrer Tragödie erzählen können, von ihrer Liebe und Enttäuschung. Es wäre nicht einmal ein Schrei am Ende eines Kapitels. Nichts. Man würde ihr kurzerhand den Mund verbieten, und die anderen würden gar nicht merken, dass man sie auf gemeine Weise mundtot gemacht und aus dem Weg geräumt hatte. Wozu da all ihre Leidenschaft, ihre Raserei, ihre Zärtlichkeit?

Kapitel 11 Dionisios
    Als der Kochsklave Dionisios mit der Repetieruhr zurückkehrte, stellte er erfreut fest, dass die Herrschaften schon ihren Mittagsschlaf hielten. Er übergab das wertvolle Stück dem Haushofmeister, Don Reventós, der einen finsteren, sarkastischen Blick darauf warf, und lief schnell in die Küche. Er wusste, seine Stunden waren gezählt, denn wenn Don Cándido aufwachen und feststellen würde, dass er Doña Rosas Laune erfüllt hatte, würde der Herr befehlen, ihn zu töten. Auch wenn er ihn vielleicht, um Doña Rosa nicht zu erzürnen, nicht direkt ermorden würde, sondern der Tod »plötzlich und unerwartet« käme wie im Falle des Dichtersklaven Lezama.
    Er wusste, was von den Herrschaften zu erwarten war. Er war nicht umsonst zwanzig Jahre in dieser Familie Koch gewesen. Er wusste, dass ein in Ungnade gefallener Sklave ein toter Mann ist und dass, wenn er in einen Streit zwischen dem Herrn und der Señora geriete, die Schuld immer ihn träfe. Er hatte sich das Sprichwort zu eigen gemacht, das er von den Weißen gelernt hatte: »Denke schlecht, und du hast recht.«
    Daher bereitete Dionisios eilig seine Flucht vor. Während alle schliefen (sogar der Haushofmeister im Speisezimmer war eingenickt), würde er die Stadt verlassen, sich im Wald verstecken und zum entflohenen Sklaven werden, zum Cimarrón. Zum ersten Mal wäre er ein freier Mann.
    Was ließ er schon zurück? Halsstock, Prügelbock, Peitschenhiebe, Beschimpfungen und endlose Schufterei. Sogar seine Frau, die Negerin María Regla, war zur Strafe in die Zuckermühle geschickt worden, als Doña Rosa sie dabei ertappte, wie sie der kleinen Cecilia, die damals gerade erst geboren war, die Brust gab. Und obwohl sie dies auf Befehl von Cándido Gamboa persönlich getan hatte, konnte niemand verhindern, dass María Regla lebenslänglich nach La Tinaja in die Zuckermühle geschickt wurde, wo sie bei täglich achtzehn Stunden Arbeit in der Siederei zugrunde ging.
    Er konnte sich noch gut an die Szene damals erinnern (mit jedem Tag trat sie ihm deutlicher vor Augen). María Regla war die Säugamme der kleinen Adela, weil Doña Rosa sie nicht stillen wollte, damit ihr »die Brüste nicht herabfielen«. Eines Nachts glaubte die Señora im Zimmer der Sklavin ein merkwürdiges Greinen zu hören und fand sie mit zwei Säuglingen an der Brust, einem links, einem rechts. Der eine war Adela Gamboa, der andere Cecilia Valdés. Doña Rosa schlug derart Krach, dass sogar der Generalkapitän seine Mannen schickte, damit sie nachsahen, was los war. Seither hatte Dionisios seine Frau nie wiedergesehen. Und das Schlimmste war, er wusste, dass sie ihm untreu war. Und nicht nur mit einem einzigen Mann. Nicht einmal mit einem Schwarzen. Sondern mit jedem Weißen, der ihr über den Weg lief … Fliehen. Das war die Lösung. Er würde nichts zurücklassen. Nicht einmal die Erinnerung an eine treue Ehefrau.
    Er warf seine Sklavenkleider fort und zog sich rasch einen Leonardo Gamboa gehörenden grünen Anzug an, der ihm etwas zu eng war, sowie ein Paar viel zu große Stiefel Don Cándidos samt seinen goldenen Sporen. Dann warf er einen Blick auf den Boden eines Kupferkessels und versuchte, sich mit der übergroßen Bürste aus Gold und Silber seine kurzen Haarkräusel zu glätten, die »Rosinen«, wie die Weißen sie nannten. Die Rosinen am Kopf ließen sich zwar nicht glätten, die

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