Engelsberg
tragenden, kreuchenden und fleuchenden Gefolges wurden schneller.
»Zweifellos«, legte Isabel mit Blick auf das näher rückende absonderliche Heer dar, »haben sie gemerkt, dass es, wo immer wir auch haltmachen, eine Leiche gibt, und sie haben begriffen, dass ihnen, wenn sie uns folgen, eine Mahlzeit sicher ist. Lauf, als wüsstest du von nichts«, raunte sie Leonardo zu, der angesichts dieses unheimlichen Zuges einer Ohnmacht nahe war.
Leonardo und Isabel nahmen eilig ihren Marsch wieder auf, taten aber gleichgültig, weil sie hofften, so ihre gefräßigen Verfolger abzuschütteln. Doch jedes Mal, wenn sie an einer Palme vorbeikamen (und es waren Tausende), schüttelte diese ihre Blätter (schuld daran war Isabels wogendes langes Kleid), und ein toter Sklave fiel dem Paar vor die Füße. Augenblicklich fraßen die Tiere die Leiche auf, und – gestärkt jetzt, erregt und in wachsender Gier – jagten sie den jungen Leuten nach.
Immer neue weite Schleifen ziehend, kämpften sich Isabel und Leonardo in wirklich beachtlicher Geschwindigkeit durch den Palmenhain, wobei sie bei jedem servierten Brocken einen gewissen Vorsprung gewannen. Als sie freies Gelände erreichten, rannten sie los zum Haus der Gamboas und riefen aus Leibeskräften nach der Familie. Die flirrenden Ringe der Nattern, die Schnäbel der Geier, die Zähne der Nager, die Krallen und Hauer allen Getiers saßen ihnen schon im Nacken.
Doña Rosa kam herausgelaufen, hinter ihr her die Töchter, und als sie die unglaubliche Heerschar erblickte, befahl sie der Dienerschaft, gegen sie zu Felde zu ziehen. Es bedurfte eines Bataillons von Sklaven, mehrmaliger Brandlegen und der Bluthunde des Oberaufsehers, um diese Plagegeister in die Flucht zu schlagen, doch auch so wurden viele ihrer kräftigsten Sklaven und dicksten Hunde ein Fraß der Tiere.
Die Verluste bei dieser Schlacht betrugen vonseiten des Hauses Gamboa exakt 99 Rassehunde, 17 trächtige Hündinnen, 1208 Obstbäume, 50 Pferde sowie 326 Sklaven. Auf feindlicher Seite: 6522 Ringelechsen, 7000 Mäuse, 9001 Ratten, 33 333 Truthahngeier, 1 Uhu, 26 Buntfalken, 75 verwilderte Hunde, 6 Guaraguafalken, 1 250 020 Blaufliegen, 10 099 Schaben, 908 Regenwürmer, 2 Kraniche und 1 Schlitzrüssler – der letzte, den es auf der Insel noch gegeben hatte.
Angaben nach Isabel Ilincheta – nicht gerechnet natürlich Frauen und Kinder.
Kapitel 26 Die Verwirrung
Als es dunkel wurde, nach dem Abendessen, ging die Familie mit ihren Gästen hinaus in den Garten des Landsitzes (gefolgt von den Haussklaven, die Laternen und Sessel trugen) und schickte sich an, Frische und Pracht der Inselnacht zu genießen. Gut gelaunt zudem wegen der Vorbereitungen zum Weihnachtsessen, das am nächsten Abend stattfinden würde.
Unter freiem Himmel wurde der Tischgesellschaft auf rasch von den Sklaven aufgestellten Tischen die Schokolade serviert. Nach der dritten Tasse richtete Don Cándido als höflicher Mann, der er war, das Wort an seine zukünftige Schwiegertochter.
»Isabel«, sagte er, »ich möchte, dass du dich bei uns wie zu Hause fühlst; ich hoffe, du amüsierst dich gut und genießt hier auch alles Schöne von Alquízar.««
Bei diesen Worten ihres Ehemannes sprang Doña Rosa wie von der Tarantel gestochen auf und warf ihre Tasse einem Sklaven an den Kopf.
»Wie!«, entfuhr es der empörten Dame. »Du wagst es und schäkerst vor mir und meinen Töchtern mit Isabel?««
»Frau«, gab Don Cándido gleichmütig zurück, »kein Mensch hat mit Isabel geschäkert. Ich habe lediglich ein höfliches Gespräch mit der Person angeknüpft, die künftig unsere Schwiegertochter sein wird.«
»Erstens, Don Cándido de Gamboa«, donnerte Doña Rosa los, »hat sich Leonardo noch für keine Frau entschieden und wird es auch nicht tun, solange ich lebe, denn es gibt keine Frau außer mir, die ihn lieben und umhegen, ertragen und verstehen kann, wie er es verdient!«
»Rosa, Rosa!«
»Schweig!«, schrie Doña Rosa und stieß ihrem Ehemann den Ellbogen in die Rippen. »Und zweitens hast du sehr wohl mit Isabel geschäkert! Oder ist die ›Schöne von Alquízar‹ etwa keine Schäkerei? Außerdem hast du ihr gesagt, sie soll sich amüsieren und alles genießen, und das in einem hochanständigen Haus wie dem unseren. Was erlaubst du dir eigentlich, Don Cándido de Gamboa!«
»Señora«, unterbrach Isabel sie liebenswürdig. »Gestatten Sie mir eine Klarstellung. Wenn ich recht verstanden habe, bezog sich Don Cándidos Bemerkung
Weitere Kostenlose Bücher