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Engelsberg

Engelsberg

Titel: Engelsberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinaldo Arenas
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lieber Analphabeten bleiben.
    Zum anderen war der Unterricht nicht kostenlos, ließ doch Villaverdes Frau, die ihn von New York aus überwachte – sie hatte nämlich Adleraugen –, dies nicht zu. So musste jeder Schüler regelmäßig seinen Obolus entrichten, und da es in jener Gegend noch nicht einmal Geld gab, geschah dies in Naturalien.
    Einer brachte ein Huhn mit, ein anderer ein Ferkel, wieder ein anderer einen Korb Eier und ein weiterer schließlich ein paar grüne Aale. Die Frechsten (die in der Überzahl waren) brachten Frösche, Krebse, Schlangen, Mäuse und sogar Spinnen mit, die Villaverde ungerührt in die Fässer zu stecken befahl, die er für jede Art von Bezahlung (auf Befehl seiner unerbittlichen Frau) auf einer Seite des Klassenzimmers aufgestellt hatte.
    »Señor!«, rief, gerade als die Besucher kamen, ein junger Mulatte. »Mein Vater schickt Ihnen diese Wasserschildkröten hier, damit Sie mir schnell die Kunst des Rechnens beibringen!«
    »Ich unterrichte keine Mathematik, ich bringe euch das Lesen bei!«, erwiderte Villaverde. Und dann ruhiger: »Leg die Schildkröten dort ins Fass und setz dich hin.«
    »Dieses Schaf schickt Ihnen meine Mutter!«, rief ein barfüßiges kleines Mädchen. »Es ist das Schulgeld für ein halbes Jahr.«
    »Bind es an und setz dich«, befahl der Lehrer und wollte schon die Anwesenheitsliste durchgehen, da erblickte er die Besucher.
    »Womit kann ich Ihnen dienen?«, fragte er und erhob sich von seinem Platz.
    »Ist das die Möglichkeit? Kennen Sie uns denn gar nicht mehr?«, schlug Don Cándido einen vertraulichen Ton an.
    »Natürlich kenne ich Sie noch. Aber ich habe nirgendwo geschrieben, dass Sie mich besuchen kommen sollen, schon gar nicht in der Schule. Ich bin hier inkognito, und zwar auf der zweiten Silbe betont, inkognito, und nicht auf der dritten, wie Sie ungebildeter Mensch es vor ein paar Seiten gesagt haben!«, wies er den Zuckerknecht zurecht.
    »Jedenfalls sind wir nun da, Señor Inkognito«, fuhr Doña Rosa dazwischen, spitz auf der dritten Silbe betonend. »Und wir werden erst dann wieder gehen, wenn Sie uns über eine sehr wichtige Angelegenheit aufgeklärt haben!«
    »Die da wäre, wenn man wissen darf?«, fragte Villaverde, sich seine Brille zurechtrückend.
    »Señor«, ergriff Isabel das Wort, »in Kapitel vier des dritten Teils Ihres Romans Cecilia Valdés lassen Sie Don Cándido de Gamboa im Gespräch mit Isabel Ilincheta, meiner Wenigkeit, Folgendes sagen: ›Ich möchte, dass du dich bei uns wie zu Hause fühlst; ich hoffe, du amüsierst dich gut und genießt hier auch alles, Schöne von Alquízar.‹ Also, wir wollen jetzt wissen, und zwar ohne Drumherumgerede, ob da ein Komma stehen soll und sich ›Schöne von Alquízar‹ auf mein Anwesen oder meine Person bezieht.«
    »Oh!«, sagte Villaverde und machte eine Pause, in der er mit den Händen fuchtelte, um die krakeelenden Kinder zur Ruhe zu bringen. »Das bleibt dem geneigten Leser überlassen …«
    »Nichts da mit ›dem Leser überlassen‹«, protestierte aufgebracht Doña Rosa. »Sie müssen das auf der Stelle klären! Sonst ist hier gleich die Hölle los!«
    »Mama, bitte«, versuchte Antonia zu vermitteln, »vielleicht weiß er ja selbst nicht, was er damit meinte.«
    »Wenn er nicht weiß, was er schreibt, dann soll er Schuster werden oder im Zuckerrohr schuften. Die Angelegenheit muss auf der Stelle geklärt werden!«
    »Señora«, sagte Villaverde nervös und rang unter seinem langen Bart, in der europäischen Kleidung, die ihm seine Frau von New York aus für das tropische Klima verordnet hatte, nach Luft, »ich habe den ersten Teil dieses Romans in der Buchdruckerei von Lino Valdés im Jahre 1839 veröffentlicht …«
    »Das interessiert mich nicht!«, brüllte Rosa. »Zur Sache, bitte!«
    »Zurückgekehrt in die Hauptstadt im Jahre 1842, ohne dass ich meinen Lehrerberuf aufgab …«
    »Nun hören Sie schon auf und erklären Sie sich!«, fiel ihm auch Don Cándido lautstark ins Wort. »Ihretwegen stehe ich davor, meine Familie zu verlieren!«
    In diesem Moment blökte das Schaf mit aller Kraft, die Kinder blökten mit und sprangen von ihren Plätzen: Endlich einmal gab einer diesem komischen Pauker Saures.
    »Hau ihn!«, war eine Kinderstimme zu vernehmen.
    »Zieh ihm am Bart!«, riet eine zweite.
    »Dresch ihm das Lineal auf den Kopf!«, schlug ein dünnes Mädchenstimmchen vor.
    »Die längste Zeit in diesen Jahren der patriotischen Fantastereien und Träume«, fuhr

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