Engelsberg
bedrängte Don Cándido ihn mehr und stachelte ihn an, er möge es endlich tun, denn sobald Leonardo die reiche Dame geheiratet hätte, würde ihm Don Cándido den (schon seit Jahren begehrten und bezahlten) Grafentitel des Hauses Gamboa übertragen. Beim Gedanken an den heiß ersehnten Titel drückte der junge Mann die Hand des Fräuleins und schlug ihr diskret vor, mit ihm in das Dickicht des Palmenhains zu gehen. Worin Isabel, die die ganze Zeit daran dachte, dass sie ja noch den Wald fegen wollte, gern einwilligte.
Sie waren schon ein Stück vorangekommen, als ein unerträglicher Gestank sie innehalten ließ. Sofort kreisten über ihnen Truthahngeier, Uhus, Buntfalken, allerlei Raubvögel mehr und anderes Getier, das den schon verwesten Körper eines schwarzen Sklaven entdeckt hatte.
Isabel ließ sich von dem Geruch nicht abschrecken und untersuchte den Leichnam, dem schon die Augen und Eingeweide fehlten.
»Hier hast du«, erklärte sie Leonardo, »einen typischen Fall von Selbstmord durch mechanisches Ersticken.«
»Wie das?«, fragte Leonardo, neugierig geworden.
»Ja«, erläuterte Isabel, »dieser Mann hat sich mit seiner eigenen Zunge zu Tode gebracht.«
Der junge Mann zeigte sich aufs Äußerste verwirrt.
»Wenn der Neger verzweifelt ist oder nicht arbeiten will«, dozierte die junge Frau, »wenn er folglich nicht weiterleben will, zieht er sich, weil er keine tödliche Waffe zur Hand hat (du weißt, es sind ihm keine erlaubt), mit aller Kraft die Zunge heraus, klappt sie um und schiebt sie sich als Pfropf in den Hals, dank diesem Mechanismus die Erstickung herbeiführend. Würden wir eine Autopsie vornehmen, sähen wir, dass Leber, Lunge und Hirn aufgrund des Blutstaus jetzt dunkel verfärbt sind … Aber rasch fort von hier, der Gestank ist ja nicht auszuhalten.«
Rasch und immer Hand in Hand liefen sie zu einem einsamen Flecken Erde, wo die majestätischen Palmen lieblich rauschten. Doch von Neuem stach ihnen der strenge, unerträgliche Geruch eines Leichnams im Zustand fortgeschrittener Verwesung in die Nase.
»Dieser«, sagte Isabel, Vögel und Ungeziefer beiseiteschiebend, und wies auf den Toten, »hat sich das Leben genommen, indem er sich mitleidlos den Kopf mit der Eisenkugel einschlug, die er am Fußgelenk trug.«
»Du hast recht«, sagte Leonardo mit einem Blick auf den zerschmetterten Schädel, »aber lass uns einen einladenderen Ort aufsuchen.«
Und ohne länger zu verweilen, nahm er die junge Frau wieder bei der Hand.
Kaum waren sie ein kurzes Stück weitergegangen, versperrte ihnen wiederum ein von selbigem Getier überhäufter Leichnam den Weg.
»Dieser«, erklärte Isabel, ungerührt vom Zorn der Truthahngeier, Buntfalken, Mäuse und all der anderen ungerufenen Gäste, die sich beim Festschmaus gestört fühlten, »hat sich mit den eigenen Händen ins Jenseits befördert. Sieh mal, seine Finger sind noch in seinen Hals gekrallt.«
»So eine Rücksichtslosigkeit«, bemerkte Leonardo, »er hätte sich ruhig einen Platz weiter weg suchen können.«
Und sanft zog er die junge Frau fort, hin zu einer schlanken Königspalme.
Schon wollten sich die beiden in ihrem kühlen Schatten niederlassen, Leonardo setzte bereits zu seinem Heiratsantrag an, da stürzte vom turmhohen Helmbusch des Baumes ein schwarzer Leichnam, der vor den Füßen der Spaziergänger zerschellte.
»Dieser Neger«, erklärte Isabel, »war einer von denen, die die Maschine gestern in die Luft geschossen hat. Er war vom Palmenbaum aufgespießt worden, bis ihn jetzt der Wind oder irgendein anderes natürliches Phänomen heruntergeschüttelt hat.«
Da hoben die beiden jungen Leute die Blicke und konnten ein unvergleichliches Schauspiel bewundern: Auf jedem der Federbüsche des weiten Palmenhains wiegten sich gefährlich, so weit das Auge reichte, ein oder mehrere schwarze Leichname.
Leonardo grinste. »Und sie dachten, sie fliegen nach Afrika …«
Und als er die junge Frau sanft in den Schatten eines anderen Palmbaumes zog, waren es drei Leichen und nicht eine, die vor ihnen niederkrachten, weshalb sie ihren Spaziergang lieber fortsetzten.
Ein merkwürdiger Lärm ließ die jungen Leute innehalten und einen Blick hinter sich werfen. Tausende von Truthahngeiern, Buntfalken, Uhus, Mäusen, Schlangen, Ratten, Regenwürmern, Maden, Schaben, Fliegen und ganze Meuten verwilderter Hunde liefen ihnen hinterher. Leonardo und Isabel beschleunigten ihren Schritt, doch auch die Teilnehmer dieses seltsamen, schon schwer
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