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Engelsberg

Engelsberg

Titel: Engelsberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinaldo Arenas
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immer mehr Holz in die Brennöfen, um den Druck in den Kesseln zu erhöhen und so die mechanische Zuckermühle in Gang zu setzen.
    Als der nordamerikanische Techniker berechnete, dass der Druck im Kessel nun groß genug wäre, erhob sich der Priester, trat an die riesige Zaubermaschine heran, murmelte auf Lateinisch ein kurzes Gebet und besprengte, sich eines silbernen Wedels bedienend, die Zylinder mit Weihwasser. Anschließend trugen zwei Kavaliere ein Zuckerrohrbündel zur mechanischen Mühle – mit weißen, blauen und roten Seidenbändern, deren Enden von vier Señoritas gehalten wurden.
    Das Zuckerrohr ward in die Maschine gegeben, der Priester bekreuzigte sich, und alle Übrigen taten es ihm gleich. In wenigen Sekunden würde in der berühmten Zuckermühle La Tijana das Zuckerrohr zum ersten Male mit einer Dampfmaschine gemahlen werden. Alle, selbst die Sklaven, hielten gespannt den Atem an. Doch die Mühle rührte sich nicht.
    Der nordamerikanische Techniker kontrollierte auf den Messuhren des Kessels den Druck. Er befahl den Sklaven, mehr Holz in die Öfen zu schieben. Die Messuhren zeigten noch höheren Druck an. Doch die Mühle rührte sich nicht. Ein neuerlicher Hagel von Peitschenhieben ging auf die Rücken der schwarzen Sklaven nieder, die im schwindelerregenden Tempo die unersättlichen Feuerschlünde stopften. Der Druck im Dampfkessel stieg auf das Maximum. Jeden Moment würden die Riemenscheiben sich zu drehen anfangen und die Mühle in Gang setzen.
    Doch nichts geschah.
    Don Cándido schien verzweifelt, Doña Rosa rutschte unruhig auf ihrem breiten Sessel hin und her, der Priester begann, ein Gebet zu sprechen, und sah hinauf zum reinen Himmel der tropischen Dämmerung.
    »Vielleicht ist eine Riemenscheibe oder das Gestänge oder etwas im Getriebe verklemmt«, übersetzte der Zuckerknecht die Worte des nordamerikanischen Technikers.
    »Dann soll er es locker machen«, brüllte Don Cándido.
    Der Techniker, der Aufseher, der Zuckerknecht und sogar der Landarzt (der schon sein Stethoskop herausgeholt hatte) näherten sich dem Bauch der Maschine, um festzustellen, wo der Fehler lag. Doch der massige Apparat glühte rot, und schnell zogen sie sich wieder zurück.
    »Die am wenigsten stumpfsinnigen Neger müssen her!«, befahl der Aufseher dem Vorarbeiter. »Sie sollen raufsteigen und nachgucken, ob ein Treibriemen abgesprungen ist!«
    Unverzüglich wurden die befohlenen Sklaven, alle jung und kräftig, mit Peitschenhieben und Todesdrohungen auf die Maschinerie hinaufgetrieben, wo sie, so gut es ging, herumwirtschafteten und sich am glühenden Eisen Hände und Füße verkohlten. Zu guter Letzt öffnete einer von ihnen, bestimmt, weil er dachte, dort den Fehler gefunden zu haben, das Sicherheitsventil des Auspuffs. Ein ohrenbetäubender Knall war zu hören, und augenblicklich wurde der Sklave von der Gewalt des Dampfes als schwarze Rauchsäule in die Luft geschossen, so hoch, dass er hinterm Horizont den Blicken entschwand. Ein zweiter Kanonenschuss erscholl, und ein zweiter schwarzer Sklave flog durch den Himmel. Ein dritter Knall, und noch einer fuhr auf ins unendliche Blau.
    Als Don Cándido das sah, fuhr er erschrocken hoch und schrie, wild mit den Armen fuchtelnd:
    »Haltet den Apparat an, sonst fliegen mir noch alle Neger weg! Ich wusste doch, dass man mit den Engländern keine Geschäfte machen kann! Das ist keine Dampfmaschine, sondern ein Trick von ihnen, um die Neger nach Afrika zurückzuschießen!«
    Diese Offenbarung hören und zur Dampfmaschine rennen war für die schwarzen Sklaven der Zuckerrohrplantage eins. In wenigen Sekunden kletterten Hunderte von ihnen barfüßig auf den glühenden Metallkörper, und mit dem Schrei »Auf nach Guinea!« zwängten sie sich in den Auspuff und flogen augenblicklich, manchmal zu Dutzenden, über den Horizont.
    Mit unerhörter Geschwindigkeit bereiteten sich fast sämtliche Sklaven der Zuckermühle und der zu ihr gehörenden Plantagen auf eine Reise vor, von der sie annahmen, dass sie lange dauern würde. So sah man unter den unzähligen Schwarzen, die die Maschine bestiegen, viele mit schnell zusammengerafftem Gepäck, das ihren ganzen Reichtum enthielt: ein extragroßer Flaschenkürbis, ein Büschel Kokosnüsse, eine lebende, wütend schreiende Ferkelratte, rasch zusammengezimmerte Kisten voll mit grob behauenen Steinen oder Holzgötzen, vor allem aber Trommeln in allen Größen.
    Gekleidet in ihrem besten Zeug – rote oder blaue Stofffetzen –,

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