Engelsberg
gegenüber die Rolle der Gastgeberin spielte.
Das große Orchester hörte auf zu spielen. Kavaliere und Damen blieben stehen und warteten darauf, dass das – herbeigesehnte – Schicksal seinen Lauf nähme. Doch die beiden Gäste traten mit tief gesenktem Blick bis an den Generalkapitän heran, verbeugten sich mit vollendeten höfischen Manieren vor dem höchsten Vertreter der spanischen Krone sowie dem Señor Bischof und empfahlen sich auf das Vorzüglichste.
»Fühlen Sie sich wie in Ihrem eigenen Palast«, sagte der Generalkapitän, und mit einer weit ausladenden Gebärde fügte er hinzu: »Wie finden Sie den Saal?«
»Sehr schön«, sagte der Konsul, den Blick unverwandt auf die goldenen Schnallen seiner Schuhe gerichtet.
»Wahrhaftig …«, ergänzte Lord Clarence Paget, stur auf den Boden blickend, und beließ es bei diesem Wort, dem einzigen, dessen er in der reichen spanischen Sprache mächtig war.
»Schauen Sie sich alles gut an«, befahl Dionisio Vives schon geradezu. »Dieser Bau ist der Stolz des ganzen Königreichs. Und erst die Gemälde …« Bei diesen Worten hob der Generalkapitän einen Arm nach hinten und dachte bei sich: Jemand hat uns verraten. Gottverflucht! Gleich morgen lasse ich die ganze Stadt verhaften. »Die Gemälde sind wirklich außergewöhnlich, sie stammen vom besten Maler am Hofe.«
»Es sind Meisterwerke«, pflichtete der Konsul geschlossenen Auges bei.
»Wahrhaftig …«, ergänzte Lord Clarence Paget unverzüglich mit fest zusammengekniffenen Lidern.
»Die bezaubernde María La O wird es sich angelegen sein lassen, Ihnen den ganzen Saal zu zeigen«, endete der Generalkapitän. Und auf einen Wink von ihm spielte das Orchester zu Ehren des ausländischen Besuchs ein langsames Hofmenuett und danach eine Allemande.
Gegen Mitternacht hatten fast alle Gäste Berge von Essen verschlungen und viele Fässer Wein getrunken, hatten immer wieder in sich hineingestopft, was auf den langen Tischen serviert wurde. Nur manchmal verließen sie den Saal, um sich zum kürzlich gegrabenen Brunnen im zentralen Innenhof zu begeben, in den hinein sie sich erbrachen. Diesen neuen, lebenserhaltenden Brauch hatte man sich in Havanna nach den tragischen Ereignissen während des weihnachtlichen Abendmahls auf der Finca La Tinaja zu eigen gemacht. Daher besitzen jetzt alle großen Wohnsitze in Havanna (und selbst im Landesinnern) genau in der Mitte einen prachtvollen Brunnen.
So besorgt war Don Cándido ob der vereitelten Pläne, dass er sogar vergaß, Leonardo die Bekanntgabe der bevorstehenden Vermählung zu befehlen; genauso wenig bemerkte der vornehme Herr die Blicke, die der Neger Tondá seiner Tochter Carmen zuwarf, Blicke, die von der Alleinerbin der Gamboas mit wahrem Entzücken aufgenommen wurden. Nicht einmal als der imposante Afrikaner der jungen Frau seinen Arm um die Hüfte legte und mit ihr einen Walzer und dann eine Cachucha und dann einen Zapateo tanzte, fand Don Cándido seine Geistesgegenwart wieder.
Es war schon fast vier Uhr morgens, und die englischen Gäste hatten noch immer nicht zum Bildnis Fernandos VII. aufgeschaut.
»Schweinebande, das Fest haben sie uns verdorben«, murmelte der Generalkapitän, stets lächelnd und Huldigungen entgegennehmend.
»Wahrhaftig …«, erwiderte mit neuerlicher Verbeugung Lord Clarence Paget, der natürlich kein Wort verstanden hatte. Doch in ebendiesem Augenblick hätten sich die Pläne jener Gesellschaft doch noch fast erfüllt.
Während der Konsul mit der wunderschönen María la O tanzte, trat er aus Unachtsamkeit und Ungeschick der ruhelosen Äffin, die die Dame kurz an einer langen, dünnen Goldkette hielt, auf den Schwanz. Unter dem Eindruck dieses bleischweren Stiefels riss sich das arme Tierchen von der Mulattin los, kletterte erschrocken an der hinteren Saalwand bis zum Kolossalbildnis hinauf und stieß, als seine Äuglein das Gemälde erblickten, ein so markerschütterndes Kreischen aus, wie man es in diesem Gemäuer noch nie vernommen hatte.
Fast niemandem gelang es, sich nicht umzudrehen und zu schauen, woher dieser Schrei kam.
Schneller, als ein Blitz zuckt, bedeckte sich da der weite Saal mit Leichen. Fast die gesamte Crème de la Crème Havannas schied bei diesem Fest aus dem Leben.
Unter den Überlebenden befanden sich außer den zweihundert blinden Musikern der Generalkapitän, dessen (heimlich zu diesem Anlass angefertigte) eiserne Halskrause es ihm nicht erlaubte, den Kopf zu wenden, Don Cándido de Gamboa, der
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