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Engelsberg

Engelsberg

Titel: Engelsberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinaldo Arenas
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mir die ganze Zeit mit Anstand, Pflicht und Schuldigkeit in den Ohren, selbst bei der Liebe. O nein, Herrschaften! Eine Liebe kann keinerlei Verpflichtung oder Bindung eingehen, kein Gesetz (außer ihr eigenes) kann sie unterwerfen, sonst wäre sie keine Liebe, sie wäre Pflicht, Verantwortung, Langeweile. Dafür sind Ehefrau, Familie und Freunde da. Eine Liebe ist: im Morgengrauen in das Haus der Geliebten einfallen, sie auf den Händen ins Bett tragen und sie unverzüglich besitzen, bevor die Lust durch Rederei, Fragen, Vorwürfe oder irgendwelche Klagen getrübt wird. Eine große Liebe muss eine Eroberung sein, eine verbotene, verfolgte Tat, ein Hohn auf alles, was uns umzingelt, befiehlt und unterdrückt, und vor allem auch ein Gefühl absoluter Freiheit und Unabhängigkeit vom geliebten Objekt.
    Eine große Liebe stellt keine Fragen und plant keine Zukunft, weil sie groß nur in der Gegenwart sein kann. Und dächten wir bei ihr daran, wie groß sie ist, so wäre sie augenblicklich keine große Liebe mehr. Leichtigkeit, Ungezwungenheit, sogar Schamlosigkeit, das ist es, was wir zum Genießen einer großen Liebe mitbringen müssen. Spiel, nicht erfüllte Versprechen, Untreue, Spott, herausgeforderter und mit den Füßen getretener Stolz, der sodann wieder aufgerichtet und geküsst und angebetet wird, um ihn gleich darauf zu verlassen und wieder zu ihm zurückzukehren, zurückzukehren stets mit der Gewissheit, dass es das letzte Mal sein wird. Das ist es, worauf man achten muss, wenn man eine große Liebe bewahren will … Weil für das Bestehen einer großen Liebe eine einzige Geliebte nicht genügt. Das wäre zu wenig für uns und zu viel für sie. Sie würde anfangen, uns anzuöden und (was dasselbe ist) uns zu betrügen. Mehrere, etliche, viele Geliebte müssen wir haben, wenn wir eine wirklich lieben und begehren, ihr mit wahrhafter Lebendigkeit und Grenzenlosigkeit die besondere, einzigartige Frucht unserer dauerhaften Liebe schenken wollen.
    Dass sich jemand unserer Beziehung entgegenstellt, ist unverzichtbares Requisit für einen guten Fortgang der Leidenschaft. Weil eine große Liebe vor allem eine große Laune ist; weil eine große Liebe vor allem der Egoismus zweier Körper ist, die einander spiegeln und begehren. Weil eine große Liebe, damit sie es ist, niemals glauben darf, sie wäre eine große Liebe; sie darf nicht einmal darüber nachdenken, was Liebe ist, denn hielte sie Erklärungen bereit, so wäre sie keine Liebe, sondern ein Buch, ein Märchen oder irgendeine andere Geschichte für alte Betschwestern und vertrocknete Jungfern … Offenbarte Leidenschaft, abgeschüttelte Angst, verletzte Tugend, Erstrahlen in Lebendigkeit und Triumph, Selbstliebe, Besitzanspruch, Ekstase und Höhepunkt, geistig und körperlich, angesichts der Ekstase der unterworfenen, in Raserei und Lust unterworfenen entgegengesetzten Selbstliebe – und die stolze Geliebte wird zur ruhelosen, ängstlichen, unsicheren Geliebten.
    Eine große Liebe sind zwei glühende, begierige Körper, die sich in der Lust begegnen, und indem sie einander gehören, verwandeln sie sich in alle geliebten und gehassten Körper, Schwester und Mutter, Vater und Freunde. Alles, was irgendwie unser Leben bestätigt und also die aufrührerischsten, stärksten Gefühle.
    Weil eine große Liebe vor allem eine große Provokation ist.

Kapitel 31 Der Ball in der Philharmonischen Gesellschaft
    An jenem 31. Dezember hatte der große Jahresball der Philharmonischen Gesellschaft eine doppelte Bedeutung und Wichtigkeit. Einerseits sollte es in ihren Sälen dem englischen Konsul und Admiral Lord Clarence Paget an den Kragen gehen – ein Mordanschlag, der vom Generalkapitän persönlich im schmählichen Bündnis mit Don Cándido de Gamboa und anderen Plantagenbesitzern und Sklavenhändlern ausgeheckt worden war –, zum anderen würde in dieser erlesenen Gesellschaft die bevorstehende Vermählung Leonardo Gamboas mit Isabel Ilincheta bekannt gegeben werden.
    Bei Einbruch der Dunkelheit begannen die Gäste einzutreffen. Sie trugen übergroße Masken, die sie völlig blind machten, denn darunter hatten sie sich zusätzlich sorgfältig die Augen verbunden. Blindlings durchschritten sie den Saal, und erst wenn sie an der hinteren Wand unter dem Kolossalbildnis Fernandos VII. angelangt waren, nahmen sie die unbequemen, aber rettenden Augenbinden ab.
    Andererseits sei eingeräumt, dass manche der Damen diese rigorose Rettungstat in eine besonders kokette

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