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Engelsberg

Engelsberg

Titel: Engelsberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinaldo Arenas
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als er sah, dass dieser gar keine Zigarre hervorholte, um sie anzuzünden.
    Don Cándido hob langsam die Augen und schaute den halb nackten, barfüßigen schwarzen Sklaven mit dem erhobenen silbernen Möbel an.
    »Schlag mir das Kohlebecken über den Schädel!«
    Der junge Sklave verstand den Befehl nicht recht und rührte sich nicht.
    »Hast du nicht gehört?«
    Da stieß der Sklave mit dem Becken sanft an den Kopf seines Herrn.
    »Hör mal, Neger«, sagte Don Cándido mit leiser, böser Stimme, »spalte mir mit diesem Kohlebecken den Schädel, oder ich bringe dich um.«
    Als er diesen einzigartigen Befehl hörte, zögerte der schwarze Sklave nicht länger. Er hob das dreifüßige Kohlebecken empor, und seine das ganze Leben lang angesammelte und versteckte Wut entlud sich in einem Schlag, der Don Cándidos Schädel nicht nur in zwei, sondern in Hunderte Stücke schlug, die gegen Wände, Tische, Stühle und Schränke des schönen Hauses spritzten.
    Bei diesem Schauspiel ergriffen aus Angst, jeden Moment könnten die Gendarmen mit den gefürchteten Männern Cantalapiedras oder Tondás kommen und sie aufhängen, alle Sklaven die Flucht – nicht ohne zuvor das Haus bis unter das Dach zu plündern.
    Am nächsten Tag schlug der Briefträger mehrere Male den bronzenen Türklopfer. Da niemand aufmachte, schob er den großen Brief unter dem Prunkportal hindurch. Er enthielt die Urkunde mit dem Grafentitel des Hauses Gamboa, den die Könige von Spanien Don Cándido zu schicken sich endlich beehrt hatten. Eine noch im Haus verbliebene alte Sklavin öffnete den Umschlag, und als sie sah, dass er nichts von Wert enthielt, wollte sie den Brief schon wegwerfen. Doch ein Regenguss setzte ein, und mit dem Pergament als Regenschirm tippelte sie aus dem Haus. Als sie das Tor von Monserrate erreichte, wo es hinausging zu den Vororten Lagunas und Pocitos, waren die Buchstaben und das königliche Siegel bereits restlos verwaschen.

Sechster Teil Schlüsse

Auf Drängen Isabel Ilinchetas wurde Cecilia Valdés wegen Beihilfe zum Mord an Leonardo Gamboa zu einem Jahr Kerker im Kloster Casa de las Recogidas de Paula verurteilt. Dort traf sie ihre Mutter, Rosario Alarcón, die, als sie ihre Tochter erkannte, ihren Verstand wiederfand. Nachdem Cecilia ihre Strafe verbüßt hatte, wartete Rosario am Gefängnistor und erzählte ihr alsdann die ganze Wahrheit. Nämlich die, dass Leonardo Gamboa ihr Bruder war.
    »Dann hatte es also einen Grund, dass wir uns so sehr liebten«, sagte Cecilia mit einem Seufzer und umarmte ihre Mutter.
    Was Carmen und Tondá angeht, so flüchteten sie, gejagt von den Truppen des Generalkapitäns, der seinem Günstling nicht den Verrat verzieh, in eine Siedlung von flüchtigen Sklaven. Dort trafen sie auf Dionisios, der von Dolores Santa Cruz dorthin geführt und auch von ihr wieder gesund gepflegt worden war. Dionisios bekochte die ganze Dorfgemeinschaft und beköstigte sie einige Male mit seinem wirklich vorzüglichen Ajipfefferfleisch. Dolores Santa Cruz für ihren Teil schmückte sich zum Vergnügen der Kinder Carmens und Tondás (ein paar unausstehliche Mulattenbälger) weiter mit der Prachtmähne der Comtesse Merlin.
    Jahre vergingen, und durch die schwarze Dolores, die weiterhin als Bettlerin und Verrückte verkleidet ihre Streifzüge nach Havanna unternahm, wurde bekannt, dass José Dolores Pimienta noch immer nicht gefasst worden war. Dolores Santa Cruz erzählte auch, dass Cecilia Valdés’ Tochter schon ein hochbeiniges und ziemlich kesses (wie sie betonte) junges Mädchen geworden sei, das sich Tag und Nacht barfuß auf den Plätzen und Straßen herumtrieb und insgeheim mit Leonardito schwatzte, was die Mutter des schönen Jungen, Gräfin Doña Isabel de Ilincheta y Gamboa, fuchsteufelswild machte.
    »Cecilia dagegen«, fügte Dolores ein bisschen traurig hinzu und nahm die Perücke ab, »ist nicht mehr die, die sie war. Sie ist dicker geworden, als gut ist, geht viel in die Kirche, zeigt sich nur selten hinterm Fenstergitter, und wenn sie es tut, dann nur, um ihre Tochter zu rufen, die aber nie antwortet.«

Kapitel 33 Von der Liebe
    Blut in der Kirche. Opferung und Stein des Anstoßes. So war eine große Liebe, so musste sie sein. Weil eine große Liebe – dachte Cecilia, als sie jetzt unter Mühen den Engelsberg hinaufstieg – sich niemals den hergebrachten Regeln und Gesetzen unterwerfen kann, von denen sie langsam erstickt und in eine weitere Gewohnheit unseres Alltags verwandelt würde, sie

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