Engelsberg
dass sie tatsächlich sprach, mächtiger, »die die schwerste Last auf sich nimmt, und nicht du, nicht ihr! Ich bin nicht die Errettung, und wenn ihr sie in mir gesehen habt, dann ist das nicht meine Schuld. Habe ich je Derartiges gesagt? Schlag dir diesen Gedanken aus dem Kopf«, befahl sie jetzt, »und hab Mitleid mit mir. Ich kann diesen Schmerz allein nicht länger ertragen und ihn nicht allein verkörpern. Ich kann nicht für alle Ewigkeit in dieser Stellung verbleiben und dieses Flammenschwert in mir tragen, das mich durchbohrt. Achtet ihr mich. Opfert ihr euch! Mach du ein Wunder … Hilf mir!«
Als Doña Josefa diese Worte hörte, hielt es ihr leidgeprüftes Herz nicht länger mehr aus, und obzwar die unablässigen Leiden ihr Herz mit Eisen beschlagen und mit Kupfer genagelt hatten, füllte eine absolute Angst, ohne Erlösung, es so an, dass es in ihrer Brust zerbarst … Da schoss einer der Kupfernägel, die es zusammenhielten, heraus hin zur Statue der Muttergottes, stürzte sie von ihrem Sockel, zerbrach sie in tausend Stücke.
Als Cecilia und Leonardo endlich genug geturtelt hatten und dem Alkoven entstiegen, blieben sie stehen vor den Marmorsplittern auf dem Fußboden, von denen jedermann bestätigt hätte, dass sie der vom Flammenschwert durchbohrten Muttergottes entstammten, hätte die Statue nicht noch immer auf dem Sockel gestanden.
Doch hätten die Liebenden einen genaueren Blick auf sie geworfen, was sie natürlich nicht taten, so hätten sie festgestellt, dass die Muttergottes durch eine andere Figur ersetzt worden war. Ihre Haut war vollkommen dunkel, das Haar gekräuselt, in den Armen trug sie nicht ein blondes, sondern ein schwarzes Kindlein, und ein noch eindringlicherer Ausdruck von Schmerz als der ihres Ebenbilds verdüsterte ihr Gesicht. Ein Ausdruck, der sich noch verstärkte, als die Geschwister einander umarmend zurück auf das Bett sanken.
»Seht nur! Seht nur!«, rief Cecilias und Leonardos Tochter und lief zu ihnen. »Großmutter ist zu Stein geworden!«
Doch sie hatten jetzt kein Ohr für solche Ungezogenheiten.
Kapitel 30 Von der Liebe
Eine große Liebe ist befriedigte Begierde, entfesselte Gewalt, Abenteuer und Vergänglichkeit voll ausgekostet gerade wegen ihres flüchtigen Wesens; denn wäre sie etwas Ewiges und Unentrinnbares, dann wäre sie eine Last, eine Strafe und vor allem (und das ist das Schlimmste) Langeweile. So dachte Leonardo Gamboa, während er um Cecilia buhlte. Grenzenlose Fülle, darin besteht die Liebe. »Leidenschaft ohne Maßlosigkeit kann nicht schön sein.« Ich zitiere Pascal. Jawohl, Blaise Pascal, dessen Lehre ich selber beim Lizenziaten Javier de la Cruz im Colegio de San Carlos studiert habe. Weil ich ein gebildeter Mensch bin, auch wenn der idiotische Erzähler dieses Romans, der ursprünglich noch nicht einmal von ihm selbst ist, mich als Sexbesessenen, Herumtreiber, Faulpelz und verbummelten Studenten darstellt … Das und noch viel mehr weiß ich. Und vor allem weiß ich, was wirklich Liebe ist, weil ich jung, lebenstüchtig, gesund und stark bin, sodass nichts von dem auf mich zutrifft, was mir dieser Syphilitiker und Perversling andichtet, der sich für Goya höchstpersönlich hält (ich meine natürlich Arenas), und auch nichts von dem Geschwätz dieses anderen Kretins von Erzähler, der keine Ahnung von meinem Charakter hatte, und nicht nur davon … Die Liebe ist, ich fahre fort, Explosion oder Tod. »Wer nicht zu viel liebt, liebt nicht genug.« (Und damit reicht es erst einmal mit Pascal.) Weil das Herz des Menschen wie eine dieser schrecklichen Städte im Norden ist: Entweder man kommt um vor Hitze, oder man erfriert. Und zwar – wie es diesen schrecklichen Städten ergeht – im abrupten Wechsel. Ich befinde mich gerade in der Phase des Feuers, und in der hoffe ich für immer zu bleiben, oder wenigstens für lange Zeit, und ich sehe keinen Grund, warum ich die Gelegenheit, die sich mir bietet, auslassen soll, und auch nicht, warum ich mich binden soll, wenn mir nicht danach ist.
Lieben heißt für einen Augenblick das Glück verwirklichen zu leben, und welchen Sinn hat das Leben sonst, als die wildeste Lust da, wo sie sich meldet, an ebendem Objekt zu befriedigen, das sie erregt? Ein Objekt, das für mich jetzt sie ist, Celia oder Cecilia (die beiden erwähnten Idioten von Erzähler nennen sie mal so, mal so), diese Wahnsinnsmulattin, die mich, weiß ich, warum, an meine Schwester Adela erinnert.
Alle, sogar Cecilia, liegen
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