Engelsberg
Modenschau verwandelten, konnten sie so doch märchenhafte tiefschwarze Schleier tragen, übersät mit Edelsteinen und mit Fäden aus echtem Gold gesäumt.
Was der Grund dafür war, dass sich Havannas ältester Adel in diesem herrlichen Ballsaal mit verbundenen Augen traf? Ebenjenes an der Hinterwand hängende, alles beherrschende Kolossalbildnis Fernandos. So haarsträubend war jede Einzelheit dieses Porträts (und also dem Original wahrheitsgetreu nachgebildet), dass jeder, der es je erschaut hatte, bei seinem Anblick auf der Stelle tot umgefallen war.
Nicht etwa nur, weil der Mund fratzenhaft teuflisch, die Ohren spitz und riesig, das Kinn spektakulär speckig, das Haar dünn und aschgrau, das Gesicht gespenstisch und verworfen, die Nase schauerlich und die Glupschaugen düster waren – all dies zeigte das Horrorbild –, es lag vielmehr am Gesamteindruck: In den Zügen dieses Gesichts lag eine solche Ladung von Schrecken und Bosheit, Brutalität und Stumpfsinn, dass sich kein lebendes Geschöpf fand, das ihm hätte entgegentreten können.
Zweifellos wird irgendein neugieriger, vorlauter Leser (einer derer, an denen es nie fehlt) es fertigbringen, mich ausgerechnet an dieser spannenden und schwierigen Stelle meiner Erzählung zu unterbrechen, um mich zu fragen, wie ich denn dann dieses Bild so genau und detailliert beschreiben kann. Ganz einfach, mein Bester, ich selbst bin der Maler und mithin Schöpfer des Bildes: Francisco de Goya y Lucientes, bekannter als Tomasito, zu Ihren Diensten. Jawohl, ich habe perfekte Arbeit geleistet, denn ich habe in dieses Werk meine ganze Wut und mein Genie hineingelegt, nebst meiner Klarsicht, erwachsen aus der Syphilis (einer königlichen Ehre, die mir direkt und unmaskiert Königin María Luisa zuteilwerden ließ). Als das Bild fertig war, befahl Fernando VII. persönlich, es mit doppeltem Leinen zu verhüllen – aus Angst um sein Leben, dem eigenen, nicht dem des Bildes, das natürlich unzerstörbar ist.
Mit großem Erfolg hat mein Werk an zahlreichen Feldzügen und den bemerkenswertesten kriegerischen Auseinandersetzungen teilgenommen. Es war der Verursacher der Ausrottung der Indios auf den gesamten Antillen und in weiten Teilen Süd- und Nordamerikas, Urheber der endlosen Wüsten, die es heute auf den verschiedenen Kontinenten gibt. Der Hass Seiner Majestät war so groß – vor allem wegen gewisser kreolischer Adliger, die Reformen erbaten –, dass er befahl, dieses Bildnis (diese furchtbare Waffe) in die Mitte des vornehmsten Festsaals von Havanna zu hängen. Die Kubaner indes, im Allgemeinen ein freches, unverschämtes Volk, aber auch gewitzt, durchschauten die Kriegslist und überlegten, wie sie ihr beikommen könnten. Das Bild zu verhüllen war ihnen verboten. Abhängen unmöglich. Nicht mehr zu den Bällen der Philharmonischen Gesellschaft gehen? Lieber tot. Die einzige Lösung: es nicht sehen. Das nämlich war der Grund, weshalb alle den prachtvollen Bau mit verbundenen Augen betraten, bis sie mit dem Rücken zum furchtbaren Porträt standen.
Mit dem Rücken zur Wand spielte jetzt auch das Orchester, bestehend aus zweihundert blinden Schwarzen, die sich, um ganz sicherzugehen, die Augen eigenhändig herausgerissen hatten. Mit dem Rücken zur Wand tanzten die hocheleganten Damen einen Kontertanz, bei dem sie in ihren weit ausladenden Krinolinen wie Luftballons hüpften, viele von ihnen mit einer französisch herausgeputzten Äffin an der Leine – eine Sitte unter den Schönen Havannas, die auf den unbestreitbaren Einfluss der Comtesse Merlin zurückging, glaubten die Kreolinnen doch, dies sei der letzte Schrei der Pariser Salons. Mit dem Rücken zur Wand neben dem Kolossalbildnis standen auch der ruchlose Bischof von Havanna, Señor Echerre, der Befehlshaber der spanischen Marine, der Bürgermeister der Stadt, der Oberste Richter, Don Cándido de Gamboa zusammen mit seiner Tochter Carmen sowie Tondá mit Säbel und goldenen Epauletten, alle postiert rund um den Generalkapitän, Don Dionisio Vives, feierlich mit Schärpe, Halskrause, Degen, goldenem Marschallstab und Dreispitz unter dem Arm.
»Da sind sie! Da sind sie!«, rief Don Cándido leise, als er die Gestalten des hochgewachsenen englischen Konsuls und des ebenso schnittigen Lord Clarence Paget den Saal betreten sah, an ihrer Seite stets die unvergleichliche María La O, eine knappweiße Mulattin, die an diesem Abend auf ausdrücklichen Befehl des Generalkapitäns den prominenten Würdenträgern
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