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Engelsblut

Engelsblut

Titel: Engelsblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kroehn
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schwächlich schien, dass man sie mit einem bloßen Atemhauch würde verjagen können. Anstatt es zu tun, fühlte er das Bedürfnis, sie aufzuwärmen. Sorge packte ihn ob der schweren Reise, die sie in ihrem Zustand unternommen hatte.
    Gewiss hatte keine ausgereifte Entscheidung dahinter gestanden. Gewiss war sie nur darum in Samuels Hände geraten, weil sie einen Ausweg aus ihrem Leben suchte. Sie war verführt von einem fernen Gerücht.
    Zärtlich neigte sich Grothusen über sie, entschlossen, das Gerücht zu entlarven, sie sachte und behutsam von hier zu entfernen, sie zu schützen vor der Mär, die er selbst mitbegründet hatte.
    Sie gehört nicht hierher, dachte Grothusen. Niemand gehört hierher. Ich muss sie fortschaffen. Ich muss Lena fortschaffen. Ich muss zusehen, dass ich von hier fliehe.
    Doch während er sanft über die liegende Frau streichelte, richtete sich jene auf und packte ihn am Arm. Ihr Griff war plötzlich kräftig und stark. Entschlossen deutete sie auf ihren geschwollenen Leib.
    »In Eurer Gemeinschaft sind Kinder doch erwünscht«, gab sie sich zu erkennen. »Und in diesem Alter hattet Ihr noch keine.«
    Grothusen wurde kalt an ihrer statt, als er gewahrte, dass Susanna Bringsheim viel schärfer und schneidiger wehte, als man ihrem gläsernen Hauch zutrauen mochte.
    Beunruhigt öffnete er den Mund, um nicht nur sie, sondern auch ihr Ansinnen abzuweisen. Ehe er es konnte, verlor sie ihre Kraft, brach zusammen und begann Erbarmung heischend zu flennen.
    Lange wusste Grothusen nicht, wie er sich Susanna Bringsheim nähern und was mit ihr geschehen sollte, ob sein Gefühl der Rührung ihn betrogen hatte oder vielmehr sein Entsetzen über ihre letzten Worte.
    Sie wiederholte sie nicht. Nachdem sie sich ausgeruht hatte, zeigte sie sich still, höflich und feinsinnig, sprach sehr leise und vornehm und mit wohl einstudierter Bewegung.
    Grothusen beobachtete sie und suchte nach einer Entscheidung, wer sie war – eine bemitleidenswerte Zarte oder eine gefühllose Grausame. Während er ihr Wesen nach Spuren des einen oder anderen absuchte, trachtete er danach, sie von der Gemeinschaft fernzuhalten. Er ließ Doktor Mohr kommen, sie regelmäßig zu untersuchen, sprach vor den anderen aber nur von einem hohen Gast, der nicht gestört werden dürfe.
    »Seid Ihr sicher, dass es gut ist, sie hier zu behalten?«, fragte Doktor Mohr zweifelnd. »Es könnte sein, dass sich ihr Mann gegen uns wendet!«
    Abwehrend herrschte Grothusen ihn an. »Ihr seid es nicht, der dies entscheidet! Wer hier klopft, dem wird aufgetan!«
    Er versuchte seine Ratlosigkeit zu verbergen, wenn er mit Susanna Bringsheim im Garten spazierte. Sie hängte sich bei ihm ein, weil sie zu schwach war, allein zu gehen, und hielt ihn für einen Verbündeten, weil er keinen Einwand gegen ihre Verehrung für Samuel erhob. Freimütig erzählte sie von ihrem Leben und ließ es zu, dass er Fragen stellte. Er tat es vorsichtig und zaudernd, nicht nur, weil er sie nicht bedrängen wollte, sondern weil er ihre Antworten fürchtete.
    Wenn sie von sich erzählte, klang es bitter. Ihr Leben interessierte sie nicht. Die Eltern hatten es ihr verdorben, als sie sie Bringsheim zur Frau gaben. Seitdem bestand ihr Dasein aus leisem Protest gegen seine laute, erfolgreiche Welt. Sie verkroch sich in Lesezirkeln, schrieb Gedichte, veranstaltete Liederabende. Sie nannte Bringsheims Geschäft öde, sein Trachten nach Expansion geschmacklos.
    Die Kinder, die sie ihm geboren hatte, versuchte sie auf ihre Seite zu ziehen – vor allem Nathanael, den Erstgeborenen, der nach seinem Großvater mütterlicherseits benannt war und der nach ihr zu kommen schien, so nachdenklich und leise, wie er sich gab. Mit sieben Jahren zeigte er jedoch Interesse an der Lösung von mechanischen Problemen und konstruierte zur großen Freude seines Vaters einen brauchbaren Spinnstuhl. Von nun an hielt sie ihn von ihren Gemächern fern und mochte ihn nicht mehr zu sich ins Bett nehmen wie in frühen Kindestagen. Es reichte ihr, hin und wieder den Ehemann dort zu dulden. Ansonsten war ihr Leben der Kunst geweiht.
    Wenn sie ihre Liebe zur Malerei bekundete, glaubte ihr Grothusen gerne. Dann vergaß er die Worte der ersten Nacht und erinnerte sich, dass gleiche Liebe auch ihn dereinst getrieben hatte – lange bevor sie von Neid und Missgunst überlagert worden war.
    »Ich verstehe Euch«, erklärte er und suchte zu vergessen, wie er all die letzten Jahre nur dem Geld hinterhergejagt und dem

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