Engelsblut
Bringsheim tatsächlich ihr Leben hier zubringe und sich bisweilen bei Samuel aufhalte.
Ein Raunen ging durch die Menge.
»Es hieß, dass kein Weib bei Samuel liegen dürfe!«, schimpfte Lukas Vogt. »Lena mag meinetwegen bei ihm hocken – aber warum diese fremde Frau?«
»Bewahrt Eure Ruhe«, bekundete Grothusen kühl. »Samuel schuf in den letzten Wochen so viele Werke wie lange Jahre nicht. Susanna bekommt ihm gut.«
Bei seinen letzten Worten blickte er abschätzend auf Lena. Stolz versuchte sie ihre Bitternis zu verbergen.
»Und warum sollte die Fremde dürfen, was keiner außer Lena je gestattet war?«, fragte Johanna Küblach gekränkt.
»Susanna Bringsheim ist nicht wie alle anderen. Sie ist hochwohlgeboren, hat erlesenen Geschmack und ist von solcher Zartheit und Eleganz, dass sie Samuels würdig ist«, gab Grothusen streng zurück.
Das Murren verstummte nicht. »Aber was wird sein«, versuchte einer einzuwerfen, »wenn Wilhelm Bringsheim sein ungehorsames Weib zurückholen will?«
Grothusen achtete nicht auf den Einspruch. An Lena gewandt, suchte er wiederum, ihr den trotzigen Entschluss zum Bleiben heimzuzahlen. »Susanna ist Samuel so ähnlich, dass man meint, das Schicksal habe ihm eine Schwester gegeben. Wer sie erblickt wie ich, wird sie als seine Gefährtin gewahren«, fuhr er fort. »Ganz gleich, was ihr Gatte und die Welt dazu sagen mögen: Das Leben hat Samuel und Susanna zum Spiegelbild auserkoren. Sie verdienen einander. Und obendrein – auch das wollen wir nicht vergessen – trägt Susanna ein Kind unter ihrem Herzen und will es Samuel schenken.«
Lenas Wangen wurden bleich, als flösse kein Blut in ihrem verhärmten Leib. Zum ersten Mal, seit Grothusen sprach, regte sie sich.
»Hundsfott!«, zischte sie ihn leise an und vergaß dabei die gemeinsamen, stillen Nächte. Indessen fügten sich die anderen.
»Susanna bleibt«, erklärte er über sie hinweg und hob die Versammlung auf.
»Hundsfott!«, wütete Lena weiter.
»Willst du mir anlasten, dass ich für Samuels Glück sorge?«, gab er zurück. »Kannst du mir vorwerfen, dass ich dem nicht zuwiderhandeln mag, was er sich wünscht und was er gefordert hat?«
Zornig stampfte Lena mit dem Fuß auf.
»Ich werde nicht zulassen, dass dem Kind Übles geschieht«, erklärte sie, weil ihr nichts anderes einfiel.
Als ihr Zorn sich gelegt hatte, suchte sie Trost bei Samuel und fand Susanna bei ihm wie stets. Jene war nicht abzuschütteln. Nie schien sie zu essen, zu trinken oder sich zur Ruhe zu legen. Zuletzt blieb Lena nichts anderes übrig, als mit Samuel zu sprechen, während die Nebenbuhlerin lauschte.
»Sag mir, dass du mich brauchst, um einen Engel zu malen, der Menschen zum Erbeben, Weinen, Schreien bringt«, bat sie.
Samuel beobachtete sie lauernd und schürfte in ihrem verwundeten Gesicht nach Trübsinn und Schmerz. Anders als sonst setzten ihm diese Gefühle nicht zu, sondern waren willkommene Bestätigung.
»Hast du mit Grothusen gestritten?«, fragte er begierig.
»Grothusen tut nichts zur Sache«, entschied sie hastig.
Erstarkt durch die Rache am verhassten Doktor und durch Lenas und Susannas Treue, gab Samuel vor, lange nachzusinnen.
»Es mag tatsächlich so sein«, beschied er Lena zuletzt, »dass ich dich brauche, um einen vollendeten Engel zu malen. Vielleicht aber brauche ich mehr noch als dich – sie.«
Lena suchte nicht wie Andreas den Verrat. Sie entschied sich nicht bewusst dafür. Im Frühjahr jedoch – als Gott die Blüten der Iris auspresste und die Welt mit dieser grünen Farbe anstrich – wurde ein Besucher im Palais Hagenstein vorstellig, und sie wies ihn nicht ab. Sie lauschte seinem Anliegen ohne Empörung, schützte ihr Gesicht nicht vor seinem neugierigen Blick, sondern stellte sich bloß als eine Verzweifelte.
Zunächst dachte sie, dass der unbekannte Mann sich Samuels Gemeinschaft anschließen wollte, öffnete ihm das Tor und bat ihn in ihre einfache Stube. Dort erfuhr sie jedoch, dass er nach anderem trachtete, als bei Samuel und den seinen zu leben.
Der Mann trug einen spitzen Schnurrbart, einen maulbeerfarbenen Rock über seinem dicklichen Leib, und er hatte ein gewinnendes Lächeln. Sein Status war nicht abzulesen.
Sebastian Bechtlhuber sei sein Name, und er wäre einer, der sich auf der Suche nach Geschichten befinde.
Lena starrte ihn verständnislos an.
»Ich möchte über Samuel Alt schreiben«, lachte Bechtlhuber.
»Wollt Ihr ihm dienen?«, fragte sie
»Vielleicht«, zögerte
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