Engelsblut
Bringsheim war schüchtern und farblos, von reicher Geburt und edler Erziehung, trug blonde Locken um ein weißes Gesichtchen und deuchte zerbrechlich. Durchsichtig und schwächlich sank sie an der Schwelle nieder und verlangte Mitleid.
Ihr Name war kein unbekannter. Sie förderte die Gemeinschaft seit vielen Jahren, kaufte Samuels Bilder und hatte seinen Namen in ihrer Heimat Augsburg bekannt gemacht. Ihr Gatte war der Fabrikbesitzer Wilhelm Bringsheim, welcher aus armen Verhältnissen stammte, sich aber vom kaufmännischen Lehrling einer mechanischen Spinnerei im elsässischen Gebweiler zum Monopolisten für die Herstellung von Maschinengarn hochgearbeitet hatte.
Wilhelm Bringsheim war tüchtig – seine Frau Susanna nicht. Aus einer angesehenen jüdischen Patrizierfamilie stammend, hatte sie sich heiraten lassen. Dann ließ sie sich von Kunst und feinsinnigem Flair berauschen, das in ihres Gatten Nähe nicht zu finden war. Zuletzt ließ sie sich im Eingang des Palais zu Boden fallen.
Sie lag so entschlossen, dass man sie nicht wegschicken konnte. Ihr Name wurde geraunt; einige scharten sich um sie, dass blässliche Gesicht zu erschauen. Der Leib, wiewohl ansonsten platt wie ein verwelktes Stück Laub, rundete sich in der Mitte und versprach die nahende Geburt eines Kindes.
Es war Nacht, als sie kam und nichts besaß denn die Kleider, die sie trug. Der Kutscher, der sie brachte, machte sich hastig wieder auf den Weg. Lange beugte man sich ratlos über ihre liegende Gestalt und rief schließlich Simon Grothusen, auf dass jener fragen möge, was ihr Begehr sei.
Übermüdet richtete sie sich auf, zog ihn zu sich herab und ruhte ihren Kopf in seinen Armen aus. Solcherart fiel sie ihm zu, noch ehe er sich erklären konnte, was sie wollte. Seufzend begann sie in seinen Armen zu erzählen, dass sie eine treue Gönnerin der Gemeinschaft sei, dass sie jedes Bild, das es von Samuel gäbe, zu kaufen versucht hätte. Gewiss sei sie keine Expertin, die etwas von Stil und Maltechnik verstünde. Aber alles, was Schönheit, Feinheit und Eleganz verspreche, läge in ihrem Begreifen.
Die eigene Schönheit war grazil, zerbrechlich und rührte Grothusen. Die Nächte, die er bei Lena gelegen hatte, hatten ihn weich gemacht.
Bevor sie weitersprechen konnte, ließ er Doktor Mohr rufen und trug sie eigenhändig in sein Schlafgemach. Sachte streichelte er dort über ihre durchsichtigen Schläfen. Doktor Mohr fühlte ihren Puls.
»Ich habe meinen Mann verlassen«, erklärte sie zwischen einem zähen Stöhnen. Es war eindrucksvoll leise. So lautlos hatte Grothusen noch nie einen Menschen stöhnen gehört.
»Euren Mann?«, fragte er.
»Ich bin dem Fabrikbesitzer Wilhelm Bringsheim angetraut«, gestand sie.
Doktor Mohr pfiff anerkennend durch die geöffneten Lippen, indessen Grothusen im Stillen die weite Strecke berechnete, die sie von Augsburg bis hierher hatte zurücklegen müssen, um vom Gatten zu Samuel zu gelangen.
Sie fuhr derweil fort, dass dieser Gatte kein Verständnis für ihren Kunstsinn hätte. Wenn es darum ginge, eine Weberei mit 600 Stühlen aufzubauen, sei er agil und tatenhungrig. Doch alles, was nichts mit Mechanik und Kostenrechnung zu tun habe, wäre ihm fremd. Er sei derb und lieblos und hätte ihr ihre Passion wiederholt madig gemacht. Ihm trotzend habe sie sich für Tage eingesperrt, die Kinder vernachlässigt und den Haushalt auch. Sein Zornausbruch hätte ihr zuletzt nur eine Wahl gelassen – sich aufzuraffen und zu Samuel zu bekennen. Zu diesem Zwecke sei sie hier im verschrienen Palais von Hagenstein, wo sie sich gewiss nicht einschleichen wolle, aber einen behüteten Platz für eine kunstsinnige Seele erhoffe.
»Ich denke keineswegs daran«, setzte sie schwach hinzu, »je wieder zu meiner Familie zurückzukehren. Der Bruch ist endgültig. Ich habe Heimat, Mann und Kind für Samuel aufgegeben.«
Sie sagte es ohne Begeisterung oder Bedauern. Sie stellte es fest, und ebenso lautlos, wie sie stöhnte und seufzte, verlangte sie, dass es hingenommen wurde.
Nachdenklich rieb sich Grothusen das Kinn. Wilhelm Bringsheim war ein mächtiger Unternehmer, der die finanziellen Geschicke des Landes spürbar lenkte. Er scherte sich nicht um seine niedrige Herkunft, sondern gehörte zu jener neuen Sorte Mensch, für die fehlender Adelstitel und Grundbesitz nicht mehr als Hindernis zählte. In politischen Kreisen galt sein Wort.
Verlegen starrte Grothusen auf die Frau, die im übergroßen Bett versank und so
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