Engelsblut
Veronika führt den Hof«, bemerkt er verbittert. Dann wälzt sich ein verächtlicher Ton pfeifend über die kaum geschlossenen Lippen. »Ihr seht, mit welchen Folgen...«
»Genau genommen«, erkläre ich. »Genau genommen geht’s mir nicht um Graf und Gräfin. Ich habe jedoch von einem Kunsthändler in Italien erfahren, dass Samuel Alt von diesem Hof abstammt, ein großer Maler seiner Zeit...«
Ich suche nach geeigneten Worten, den Alten milde zu stimmen, und höre förmlich, wie er überlegt, das Portal vor meinen aufdringlichen Füßen zuzuschlagen.
»Samuel Alt«, knurrt er bereits. »Wollt Euch raten, den Namen nicht auszusprechen! Hat nur Unheil und Tod gebracht! Kretin! Elender Hund!«
Verächtlich spuckt er auf den Boden.
»Aber mein Herr«, bedränge ich ihn. »Nicht will ich Kenntnis haben, was man ihm vorwirft und welchen Unrechts man ihn zeiht. Mit seinen Taten möchte ich mich nicht aufhalten. Doch man hört von ihm bis in die Hauptstadt, woher ich reiste, mehr noch: Es lassen sich Zeugen für sein Leben selbst in Deutschland und Italien finden. In Künstlerkreisen, wo man ihn als Boten künftiger und herrlicherer Zeiten benennt, ja als Apostel des Realitätssinns, fällt sein Name mit Regelmäßigkeit. Und so ist es mein Begehr, jenes geheimnisvolle letzte Bild von ihm, das kurz vor seinem Tod entstanden ist, aufzuspüren.«
Ich hoffe ihn zu überfahren mit meinem Sprüchlein, ihn klein zu machen und platt zu pressen, sodass ich Raum erwirken und eintreten kann.
Doch so griesgrämig er mich aufnahm, so schlecht gelaunt lugt er weiter auf meine Gestalt.
Irgendwann senkt er gar den Kopf, als wäre ich es nicht länger wert, angesehen zu werden.
»Mag’s gar nicht, wenn man im Vergangenen wühlt«, schimpft er trocken. »Ist verlorene Zeit. Und keine Stunde lohnt es sich, dem Samuel nachzuforschen.«
Er spuckt aus. »Ja, ja«, fügt er geifernd hinzu. »Manch einer kommt bis heute und fragt nach ihm, will Bilder sehen, am besten erwerben! Pah! Als ob es nicht bekannt wäre, dass damals, als das Fürchterliche geschah, ein Aufruf durch die Lande ging, seine Bilder zu verbrennen! Ich will euch was verraten, mein Herr: Hier hat sich jeder dran gehalten! Hier gab’s keinen Zweifel, was Samuel und die Seinen angerichtet haben! Das Einzige, was mich bis heute wundert, ist, dass sie ihn trotz allem in geweihter Erde begraben haben. Zwanzig Jahre ist das her, und ich war damals noch ein junger Mann. Will’s aber nicht verstehen, dass einer wie er das verdienen sollte.«
»Gesetzt, es nähme ein Engel mich plötzlich ans Herz;
ich verginge von seinem stärkeren Dasein.
Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang,
den wir noch grade ertragen, und wir bewundem es so,
weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören.
Ein jeder Engel ist schrecklich.«
RAINER MARIA RILKE
DRITTER TAG
Es ist zu erzählen, wie Samuel mit Farben malt,
Gräfin Marie Wein statt Wasser trinkt und Lena im
Mondlicht ihre gewaschenen Füße bestaunt
Andreas von Hagenstein, der sanfte Vetter, suchte Samuels Nähe. Wann immer es möglich war, begleitete er seine Mutter zu Besuchen, schlich in Samuels Zimmer und beobachtete ihn dort mit sehnsüchtigen Augen, ohne dabei zu sprechen.
Wenn er von Samuel weggehen musste, stand er auf, trat ein letztes Mal vor ihn hin, und es hatte den Anschein, als wolle er ihm zögerlich die Hand auf die Schulter legen. Im letzten Augenblick ließ er sie jedoch in der Luft verharren und zog sie bedauernd und ängstlich zurück. Dann erst blickte Samuel auf, als würde er den Vetter zum ersten Mal sehen, und besiegelte mit einem zaghaften Lächeln ihr Abkommen: Samuel gewährte Andreas, hier zu sein. Und Andreas wagte nicht zu viel, auf dass es ihm nicht verboten werde.
Als die Besuche des Vetters häufiger wurden, begann der Graf Samuel darob zu verhöhnen.
»Ha!«, lachte er. »Willst du so werden wie Andreas? Ziehst du dir bald ein Röckchen an gleich einem Mädchen? Man zerreißt sich allerorts das Maul über den Jüngsten derer von Hagenstein! Es sollte mich nicht wundern, wenn er seine ganze Familie in Verruf bringt, da er sich doch nicht wie ein anständiger Knabe verhält!«
Samuel starrte gleichgültig an ihm vorbei. Weiter höhnend trat der Graf an ihn heran und legte seinen Arm um die Schultern des Stiefsohns. »Greift er nach dir? Presst er seinen Körper an den deinen?«
Unwirsch machte sich Samuel los. »Fass mich nicht an!«, brüllte er.
Grinsend trat der Graf
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