Engelsblut
Jungen ein letztes Versprechen ab.
»Und nun«, brachte er leise hustend hervor – die Luft war ihm knapp vom vielen Reden. »Und nun versprich mir, Samuel: Male nie wieder Felicitas an der Engel statt! Male nie wieder, was du gesehen hast, als sie starb! Du darfst es nicht gesehen haben! Male Engel so, wie du niemals Menschen maltest!«
Zum ersten Mal in seinem Leben war Samuel blind. Er hatte nicht gesehen, wovon er zeichnend Zeugnis gab, nachdem Hochwürden Greifenthal von ihm gegangen war. Er stieg in einen augenlosen Himmel und suchte dort zu pflücken, was fedrig, goldig und feingliedrig war. Unsichtbar waren die Engel; ihre Zartheit und Schönheit verborgen unter dem Schleier, den sie Samuel über den Blick legten. Er kämpfte gegen den Schleier an, suchte ihn wegzuzerren und malte stundenlang. Schon immer hatte er nur wenig gegessen und sich meist mit Brot begnügt – nun vergaß er gänzlich, etwas zu sich zu nehmen. Nicht einmal trinken wollte er, bis alles Papier, das er hatte, übersät war von den göttlichen Boten, randvoll mit ihren glänzenden, federleichten, luftigen Gestalten.
Er achtete wie stets nicht auf das Gemalte – erst am nächsten Tag, als er es Hochwürden Greifenthal zeigte, geschah es zum ersten Mal in seinem Leben, dass er selbst studierte, was er zuvor gezeichnet hatte, und dass er danach trachtete, ein Urteil über seine Engel zu finden.
Er starrte auf eines der Bilder und begann zu sehen. Er musterte es lange schweigende Minuten und fühlte, wie sich die Konturen verschärften.
Der Pfarrer betrachtete das Bild, lächelte milde und beugte sich gönnerhaft vor, um dem Knaben über die Stirn zu streichen. Samuel zuckte zurück.
»Siehst du«, sagte der Pfarrer zufrieden. »Siehst du, dies sind Engel, wie sie von Gott gewollt sind.«
Samuel schüttelte langsam den Kopf. »Aber sie sind tot«, murmelte er. »Die Engel sind tot.«
Seine Bilder waren schön, aber sie atmeten nicht. Die Gestalten darauf zeigten sich erhaben, aber das Lachen war ihnen fremd, und ihre Augen spuckten keine Tränen. Sie tänzelten im Himmel, aber sie trugen keine Spuren des Lebens. Sie waren gestorben, noch ehe ein Mutterleib sie ins Leben gepresst hatte.
»Unsinn!«, widersprach Hochwürden Greifenthal lächelnd. »Engel können niemals tot sein! Engel sterben nicht! Nur dann, wenn eine diamantene Spitze ihren zarten Körper aus erlesenem Fleisch durchstößt, zergehen sie in Nebelwolken – gleichwohl sie keine Schmerzen dabei leiden.«
Samuel litt Schmerzen. Die Bilder taten ihm weh, und hastig schloss er seine Augen, sich davor zu schützen.
Der Pfarrer fühlte sich von Samuels Gabe versöhnt und eingelullt und neigte sich vor, um ihn erneut zu streicheln. Für Momente vergaß Samuel, sich davor zu ducken. Er fühlte die fremden Finger und ließ ihre Berührungen zu, weil er zu tief in Gedanken versunken war.
Ich bin nicht gut im Engelmalen, dachte er enttäuscht.
Dann zuckte er zusammen, stieß unwirsch die streichelnde Hand weg und malte fortan wieder Menschen.
Während Marie darauf wartete, seine Mutter zu werden, der Graf ihrer spottete und Samuel Menschen zeichnete, aber keine Engel mehr, lud eine gewisse Gräfin Elsbeth von Hagenstein zu einem Feste ein.
Elsbeth von Hagenstein war üppig, laut und gelangweilt, führte eine ereignislose Ehe, hatte vier mäßig geratene Kinder und schürfte sich das grelle Temperament auf – manchmal an den begrenzten Wänden des Alltags, öfters an den weiten Fluren ihrer bekannten und gerühmten Festlichkeiten. Eigentlich amüsierten diese sie nicht. Es ödete sie an, einen ganzen Abend zu begrüßen, zu kokettieren, zu lächeln. Waren die Feste aber vorüber, so konnte sie sich an ihnen erfreuen und rückblickend erklären, wie erheiternd und belustigend sie gewesen seien.
Zu diesem Fest, entschied Graf Maximilian, sollte Samuel mitkommen, um der Welt ein harmonisches Familienleben vorzuführen. Es war das erste Mal, dass Samuel dem Gutshof entkam, das erste Mal, dass er so vielen Menschen auf einem Platz begegnete, so vielen Gesichtern, die ihm neugierig entgegenblickten, so vielen Händen, die ihn zum Gruß berühren wollten. Lächelnd neigten sich ihm kalte Lippen zu, die seine junge Haut küssten, beringte Finger, die seine matten Wangen kniffen. Er roch den fremden Duft von unbekannten Menschen, sah geschminkte Damen in der neuesten Mode, mit goldenen Stirnbändchen, den Ferronières, und gekleidet in edle Stoffe, in Musselin, Gaze, Linon,
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