Engelsblut
scheitern, denn Gott sei größer und stärker als sein Ebenbild. Der Mensch sei ein Nachäffer, ein Parodist – Gott aber der beste Maler, den es gäbe.
Weil Gott der beste Maler war und weil Ludovicus Rottermann daran glaubte, behauptete er, dass er sich nur an den Farben der Schöpfung erfreuen könne, nicht aber an jenen auf Gemälden, welche der Mensch sich ehrgeizig aus Gottes Werk herausgepresst habe. Mit dem missratenen Abklatsch der Wirklichkeit, welcher das Sein nicht bestimme, sondern nur imitiere, könne und wolle er nichts anfangen.
Dies erzählte er Samuel am ersten Tag, da sie aufeinander trafen. Ludovicus Rottermann, der wohl ein großer Maler seiner Zeit hätte sein können, hatte seinen eigentlichen Beruf längst aufgegeben und zog als Bildhauer durch die Lande. Bei Gräfin Elsbeth war er mehrere Wochen zu Gast gewesen, um deren jüngstes Kind zu modellieren. Von dort hatte ihn Marie zu sich geladen, auf dass er ihrem Sohn Unterricht gäbe.
Er nahm die Herausforderung an und spottete zugleich über diese Aufgabe, denn eigentlich – so bekundete er stets – war sie unerfüllbar. »Ich kann dich nichts lehren, Junge«, erklärte er. »Gott ist der einzige Lehrmeister. Aber weil Gott geizig ist mit seinem Können, gibt er es nicht weiter.«
Samuel war neugierig. »Und es gibt keine bessere Farbe als die von Gottes Hand?«, fragte er.
»So ist es«, nickte Ludovicus mit Bösartigkeit im Blick.
»Aber wenn Gott die Farben kennt«, entschied der Knabe. »Warum soll der Mensch sie nicht auch für sich entdecken?«
Ludovicus lachte kreischend. »Magst mir glauben, Bub«, bestand er. »Ich habe alle Farben ausprobiert, die der Mensch erschaffen kann – und habe mich doch an keiner von ihnen je erfreut.«
Stolz neigte sich der alte Bildhauer vor, hob seine Hand und reckte den Zeigefinger. »Magst mir ruhig glauben, Bub«, wiederholte er und stupste mit dem Zeigefinger auf Samuels Nase. »Und wenn du mir’s nicht glaubst, werde ich’s dir zeigen.«
Rasch zuckte Samuel zurück und rieb sich die Nasenspitze ob des anderen Berührung. »Ja, zeigt es mir!«, willigte er in den Vorschlag ein.
Einen Frühling und einen Sommer über blieb Ludovicus, um Samuel zu lehren, wie sich Farben herstellen ließen, und um gleichsam zu bekunden, dass dies in seinen Augen doch keine Farben wären, die zählten. Kaum eine Rezeptur, von den alten Meistern über Jahrhunderte erprobt, ließ er bei seinen langen Erklärungen aus, und er blieb dabei, dass er das, was dabei herauskam, niemals ernst nehmen könne.
Das Erste, was Samuel lernte, war, dass es nichts gab, was man zum Herstellen von Farben nicht verwenden konnte. Ob Urin oder weißer Hundekot, Ohrenschmalz oder stinkende Stiefel, ausgediente Fässer oder zerfledderte Lumpen – alles barg Zutaten, die zu entdecken, zu gebrauchen, sich zunutze zu machen waren.
Später ging Ludovicus daran, Samuel alle Pflanzen zu zeigen, die unbeachtet rund um ihn blühten und wuchsen und sprossen und überquollen von den Farben, die Gott in ihnen verborgen hatte. Die Früchte des Schlehdorns färbten rot, mit Seifenwasser vermischt blassblau, mit Alaun hellgrün. Überhaupt war die Wahl der Menge, der Mischung, der Zutaten entscheidend.
»Den Alaun«, zeigte Ludovicus Rottermann dem lernbegierigen Knaben, »musst du klein zerstoßen, in ein wenig Wasser geben, dann auf das Feuer setzen, da er ansonsten nicht zergeht. Mit diesem Wasser kannst du alle Blumen oder Säfte anfeuchten – nur wo du des Alauns zu viel genommen hast, da verbrennt er die Farben. So kriegst du aus Heidelbeeren und Waidasche ein Saftgrün, aus Labkraut ein Violett, aus Sauerdorn ein Rot. Misch Ammelmehl mit Waid und Essig und Urin, und du hast blau. Nimm gebrannte Knochen für ein Weiß. Setz Veilchen mit Zucker und Essig an fürs Dunkelgrün. Such im Hirschhorn und verbranntem Leder das Kohlenschwarz, desgleichen in Eisenfeilspänen mit Galläpfeln und Rinden.«
Kaum war der erwünschte Farbton erreicht, so war es mühsam und langwierig, daraus Pigmente zu ertrocknen. »Nimm zur Verlackung Bleisalz oder Weinstein, Kreide, Bleiweiß oder Tonerde. Und wenn du die Pigmente hast, so mische sechs Teile Ei, zwei Teile Leinöl, drei Teile Wasser und Dammherz, und du magst langsam, langsam eine Palette von Farben bekommen, mit denen sich malen lässt.«
Stundenlang probierten, versuchten, experimentierten sie. Vieles missglückte, was Samuel verärgerte und Ludovicus Rottermann belustigte. Dann hob er den
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