Engelsblut
Zeigefinger, stupste damit dem Knaben ins Gesicht und lachte noch schriller, wenn jener der belehrenden Hand auswich.
Manchmal schien es Samuel, es könne nicht anders sein, als dass auch der skeptische Alte mit ganzem Herzen bei der Sache sei. Er mochte nicht glauben, dass der nichts anderes tat, als der Menschen zu spotten und Gott zu rühmen, wenn er lehrte, zeigte, offenbarte. Doch immer wenn Samuel ihm ein Bild vorlegte, das er mit Farben gemalt hatte, zuckte Ludovicus Rottermann die Schultern, lachte wie üblich und erklärte, dass ihn solche Farben nicht berührten und dass er keine Freude an einem solchen Bilde fände.
Verwirrt vervollkommnete sich Samuel in der Kunst, Farben zu machen. Er wollte sich nicht damit abfinden, dass die Farben Gott gehören sollten, ihm aber nicht. Er stampfte, schüttete, presste, trocknete, mischte, rieb, nässte. Er lernte, Pigmente zu verdicken, Pinsel zu schnitzen, Leinwände zu spannen, Farben aufzutragen. Er malte weiterhin Gesichter, und als Ludovicus sie als grau bezeichnete, ging er sogar dazu über, die Natur abzubilden, die Gott erschaffen hatte und von der die Farben stammten. Es machte ihn nicht glücklich, und er fühlte sich fehl am Platze, wenn er sich an der Landschaft vergriff. Aber so sehr sich Ludovicus den Menschenfarben widersetzte, so dringlicher wurde es für Samuel, die eine zu schaffen, mit der er Gott übertrumpfen konnte.
Wenn Gott den Mohn scharlachrot anpinselte, so musste er es auch können! Vom Ehrgeiz gepackt, verkochte er Mohnblüten zu einem schalen, roten Rest und malte ganze Bilder damit. »Soll das eine brauchbare Farbe sein auf deinem Bilde! Ha! Ich sehe sie nicht!«, krächzte Ludovicus entzückt, hob den Zeigefinger und näherte ihn bedrohlich Samuels Gesicht.
Der zuckte zurück.
Wenn der Mohn ihm das Rot nicht gab, wonach er suchte, so würde er die ganze restliche Welt danach abgrasen. Er versuchte es mit Bingelkraut, experimentierte dann mit Efeu. Er fand heraus, dass Letzterer in seinen Zweigen einen scharlachfarbenen Auszug trug und dass im März die Rinde einen Saft spie, den man mit Harn zu einem Rotton kochen konnte. Er brannte Grünspan, vermischte Heidelbeer mit Alaun und Kupferstein, vermengte Kalk und Salmiak. Holunderbeeren waren seine nächste Wahl. Zuletzt Johanniskraut, das zwar ‘. safrangelb leuchtete, aber roten Saft aus sich pressen ließ.
Tagelang suchte er Pflanzen, Blätter, Beeren, Früchte, Gemüse. Tagelang probierte er Rezepte aus, änderte die Mischung, die Zutaten, die Zeit des Trocknen, Kochens, Stampfens.
Immer aufs Neue malte er mit der gewonnenen Farbe, malte Bäume, Blumen, Felder, malte schließlich wieder Gesichter, Glieder, Menschen.
Dann legte er die Bilder Ludovicus Rottermann vor, und jener schrillte: »Dies ist keine Farbe, die ich erschauen möchte. Ich will Gottes Farben sehen, sonst keine.«
Samuel jagte dem roten Saft hinterher, versuchte es mit Eichenholz, Nussbaum und Erle, nahm das Harz des Drachenbaums, auch Berberitze und Birkenlaub, mischte mit Bienenwachs und Ochsengalle. Ludovicus lachte. »Ich sehe Gottes Farben«, weigerte er sich, das Bemühen des Jungen anzuerkennen und sich an dem Bilde zu erfreuen. »Sonst keine.«
Als der Sommer zur Neige ging und Samuel keinen Rotton gefunden hatte, mit dem sich Ludovicus bestechen ließ, fiel ihm ein, sich selbst den Arm aufzuschneiden, den Zeigefinger einzutauchen und mit seinem Blut zu malen. Es war Ludovicus’ Gesicht, das er damit festhielt, wie er den Kopf schüttelte und lachte und auf Gott schwor und der Menschen Farben abtat.
Dann ging er hin, das Bild dem alten Mann zu geben. Diesmal lachte jener nicht. Der Spott schien ihm stecken zu bleiben. Er ahnte etwas schimmern inmitten des üblichen Graus und wähnte sich davon bestochen.
»Diesmal könnt Ihr die Farbe sehen«, entschied Samuel, noch ehe er eine Antwort hatte. »Denn das ist die Farbe, die Gott dem Menschen gegeben hat. Sie gehört nicht mehr ihm, sondern nur mehr uns. Er hat sie uns leichtfertig geliehen; jetzt bleibt sie ihm gestohlen.«
Ludovicus blinzelte. Er wusste nicht, ob Samuel seiner spottete oder Gott, sah eine Farbe, die er als Rot benennen musste, und konnte sich nicht blind stellen, wiewohl sie von Samuel geschaffen worden war. Es fiel ihm ein, dass Gott, wenn er so großzügig seine Farben verschenkte, entweder zu lustlos oder zu bescheiden war, vielleicht aber auch nicht der Beste aller möglichen Maler.
»Ist dies eine Farbe aus Gottes Hand?«,
Weitere Kostenlose Bücher