Engelsblut
zurück. »Gut, gut«, murmelte er, »wollen wir hoffen, dass du dich auch Andreas als Körperloser gibst.«
Marie hatte der Graf nach dem Fest bei Elsbeth von Hagenstein verboten, sich jemals von Samuel malen zu lassen, und sie gehorchte. Im Geheimen ließ ihr Buhlen um Samuel nicht nach. Er war ihr fremd und unheimlich, hatte nichts Einnehmendes und Liebenswertes, aber sie hatte über seinen Kopf und Felicitas’ Tod hinweg beschlossen, ihn zu lieben, auf dass sie ihn nicht zum Sohn eines verratenden Domherrn erklären und der am Kindsmord gestorbenen Nebenbuhlerin abtreten musste. Immer wieder trat sie zu ihm und versuchte, ihn an sich zu pressen, damit sich nicht nur durch das Vorhandensein eines Gatten, sondern auch durch das Vorhandensein eines Sohnes ihr Lebensglück erfülle.
Er aber entzog sich ihren Armen, stieß sie von sich und wiederholte: »Ich werde dich malen. Und dann erst bist du meine Mutter.«
Als der Stiefsohn vierzehn war, versuchte der Graf die Kluft zwischen sich und Samuel tiefer zu schlagen, schickte ihn fort in die Stadt und erzwang von ihm den Besuch einer Schule.
Dort teilte er mit Andreas eine Klasse – und machte jenen für kurze Zeit glücklich, den geliebten Vetter bei sich zu wissen. Samuel jedoch blieb nicht lange an seiner Seite. Nach wenigen Wochen wurde er von der Schule verwiesen, da er sich weigerte zu schreiben. Er war gut in Mathematik; er ließ sich zum mündlichen Deklinieren von lateinischen und griechischen Vokabeln herab, aber die Schrift, obwohl er sie beherrschte, wurde von ihm nicht genutzt.
Entsetzt über die hastige, aufdringliche Rückkehr und das Gespött, das damit einherging, setzte der Graf ein Ultimatum. »Wenn du nicht schreibst«, tobte er, »wirst du auch nicht mehr malen!«
Samuel blieb kalt; der Graf tobte lauter. Überhaupt sei es keine rechte Sache mit dieser Malerei; gut wäre, dass er sie bislang im Geheimen betreibe; schlecht wäre aber, dass er damit die Diskretion gegenüber anderen Menschen verlerne, weil er sich schamlos an ihren Gesichtern vergriffe. Und nun, da er sich zu studieren weigere, solle er das Malen gänzlich lassen.
Samuel hielt sich nicht an das Verbot. Im Auftrag des Grafen wurde er von Dienstboten belauert, doch statt sich vor ihnen zu verstecken, zeichnete er sie ab. Wann immer sie ein Bild von ihm sahen, erstarrten die Menschen, schlugen sich die Hände vors Gesicht und begannen zu greinen.
Der Graf ließ sich die Bilder bringen, dachte erneut, dass Samuel ein zu guter Maler wäre, als dass man ihn ertragen könne, und entschied, die Menschen zu schützen. Gewaltsam entriss er Samuel alle Bilder und suchte in seinem Zimmer nach weiteren, die sich dort stapelten. Nachdem sie zusammengetragen worden waren, wagte er nicht, sie zu zerstören, aber er verstaute sie in einer tiefen Truhe auf dem Dachboden, sperrte den Raum ab – und sperrte auch Samuel ein. Selbst Papier und Kohlestift ließ er ihm nehmen. Danach weigerte sich Samuel nicht nur weiter zu schreiben, sondern er hörte auch auf zu essen und zu sprechen.
»Hüte dich!«, kläffte der Graf. »Hüte dich, der Welt zu entsagen! Beweis mir, dass es recht um deinen Geist steht, dann lasse ich vielleicht mit mir reden!«
Aber Samuel sprach nicht. Er ging daran, wie früher als Kind im Dreck zu wühlen und darin zu skizzieren.
Dabei wurde er von Marie ertappt. Wie üblich suchte sie sich den Sohn zu ertrotzen, sprach auf ihn ein, wollte verstehen, was er da triebe und warum. Vorsichtig versuchte sie über seine Stirn zu streichen.
»Fass mich nicht an!«, gellte er. »Du bist nicht meine Mutter.«
»Natürlich bin ich deine Mutter, und ich liebe dich!«
»Ich werde dich malen, und dann bist du meine Mutter. Was aber habe ich denn, damit ich’s tun könnte?«
Diesmal brach Marie entzwei. Die Hälfte, die sie dem Grafen überließ, war zu wenig, um sich an das strikte Verbot zu halten, wonach Samuel nicht malen durfte. Die andere, die sie Samuel gewährte, aber war fürs Erste genug, dass ihr Widerstand zu bröckeln begann. Marie schenkte ihrem Sohn einen Mann – und dieser Mann schenkte Samuel alle Farben der Welt.
Der Mann hieß Ludovicus Rottermann, und er behauptete, es könne keine vollendeteren Farben geben als jene, die Gott geschaffen habe.
Gott habe Himmel und Erde, Wälder und Wiesen, Berge und Täler gemalt und in allem seine Farben versteckt. Mühselig könne der Mensch sie darin suchen, ebenso mühselig sie nachmachen – aber zuletzt würde er
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