Engelsblut
voller Entsetzen an. Eben ging die Rede, dass Samuel ein dreckiger Bastard sei, dass er im Schmutz geboren sei und dass ihm das Maul mit gleichem Schmutz zu stopfen wäre. »Jawohl! Jawohl!«, kreischte Grete, weil das alle taten.
»Das ist nicht wahr«, rief Lena. »Samuel ist sauber! Samuel ist der sauberste Mensch, den es gibt!«
Grete war die Einzige, die sie in dem Lärm hörte, schüttelte kichernd den Kopf, wollte vorrücken in die erste Reihe, um den aufgebrachten Baron vor Wut platzen zu sehen. Ehe sie’s tun konnte, hielt Lena sie fest und schlug ihr ins höhnende Gesicht, auf dem sich die Spuren ihrer Hände abzeichneten.
»Bist du irrsinnig geworden?«, geiferte Grete und trat hilflos zurück. Ungeschickt traf sie Lena ans Schienbein und in den Bauch.
»Samuel ist sauber«, bestand Lena und schlug ein weiteres Mal zu. Sie hatte nicht mehr geschlagen, seit sie den Kindertagen entwachsen war. Nun, da Grete sich zu wehren suchte, rang sie sie nieder, schlug ihr in den Magen, stieß und kniff und prügelte so lange, bis die Schwester nur mehr ein würgender Haufen war und Blut spuckte. Grete lag im Dreck; Lena sah auf sie hinunter, und sie spürte die Stärke von einer, der man nachsagte, mit Blick und Stimme den Lauf der Welt anhalten zu können.
Indessen war Graf Maximilian in den Hof gekommen, starrte entsetzt auf den Tumult und brauchte seine Zeit, um zu begreifen, dass die aufgestaute Wut nicht ihm galt. Hernach lächelte er. Samuel war der Gehasste. Der ganze Ort erregte sich über ihn.
Gräfin Veronika, die junge Schwiegertochter, verschüchtert von dem plötzlichen Treiben und verängstigt von der Gewalt, die drohte, versuchte auf ihn einzureden. »Tut etwas!«, bat sie verstört. »Von allen Ecken kommen Menschen herbeigelaufen, um gegen Samuel Zeugnis zu führen. Tut doch etwas!«
»Aber ja doch!«, höhnte der Graf.
Hernach tat er tatsächlich was. Er sprach nicht zu Lothar, sondern zu seinen Leuten, und er verbot ihnen, sich dem geifernden Baron entgegenzustellen. Man möge ihn gewähren lassen, keinen Finger gegen ihn rühren, ihn als willkommenen Gast behandeln. Würde Samuel mit diesem Gast nicht auskommen, so sei es seine Sache. Dann zog er Veronika sanft zum Herrenhaus, erklärte die Angelegenheit für ausgestanden und suchte sich im ersten Stock den besten Platz, um alles zu begaffen.
Laut und aufgebracht ging währenddessen das Gekreische weiter, kam anfangs bloß aus Lothars zornverzerrtem Mund, später auch aus den Mäulern aller Versammelten, die glaubten, was sie hörten. Samuel sei ein verdammenswürdiger Verbrecher, der außerhalb der sittlichen Welt stünde. Samuel sei ein abartiger Schurke, der seine armen Opfer bestialisch ihrer ureigensten Lebenskraft beraube. Samuel sei ein nichtsnutziger Pinselschwinger, der ausbeutend und auf der Suche nach irrwitzigem Amüsement die Welt und die Menschheit heimsuche.
Spät blickte der Gesuchte schließlich aus dem Fenster seines Zimmers herab. Er wurde von dem Lärm herbeigelockt, der kein Ende nehmen wollte. Dass er ihm galt, begriff er nicht.
Lena ließ von Grete ab und klebte ihren Blick an seinem Gesicht fest. Alle starrten dieses Gesicht an, hörten auf zu toben, verstummten erstaunt, weil das Gesicht so nichts sagend schien, so menschlich und gewöhnlich. Es drückte aus, dass Samuel sich gestört fühlte, nichts aber von den schrecklichen Geschichten, die Baron Lothar eben noch erzählt hatte.
Lothar selbst brauchte Zeit, sich bei dem Anblick zu fassen; nur langsam und zögernd polterte er fort und rief schließlich: »Komm sofort herunter!«
Samuel zuckte die Schultern.
»Mörder! Mörder!«, plärrte Lothar davon eingeschüchtert. »Du wärest zum Mörder geworden, wenn man dich gelassen hätte!«
Während Samuel weiterhin Unverständnis ausdrückte, klaubte Lothar seinen ganzen Zorn zusammen, begann wieder zu toben, schrie von Blut und Tod, bis er heiser wurde.
»Komm herunter!«, wiederholte er brüllend. »Komm herunter, du Abschaum, du Satansbrut!«
»Warum sollte ich?«, fragte Samuel ungerührt, wollte sich umdrehen und weitermalen.
Einige kicherten. Lenas Blick hing immer noch bangend an seinem Gesicht fest.
Als Lothar merkte, dass ihm vor Zorn die Stimme schwand, befahl er mit einem letzten ersterbenden Flüstern seine Leute ins Herrenhaus und trug ihnen auf, Samuel mit Gewalt in den Hof zu zerren, und mit ihm seine verdammten Bilder. Er selbst würde die Stätte des Unheils nicht betreten. Samuel verdiene
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