Engelsblut
vermochte er nach langem Proben eine Rezeptur niederzuschreiben, mit der es sich erstmals malen ließ. Drei Teile bis zur Trocknis verdunstetes Blut musste mit einem Teil Pottasche so lange glühen, bis aus dem Schmelzgefäß eine blaue Flamme schlug. Hierauf, nachdem die übrig gebliebene Substanz erkaltet war, hatte man mit Wasser eine Blutlauge zu kochen, diese in Eisenvitriol und Alaun aufzulösen und den grünen Niederschlag, der am Ende blieb, mit doppelter Menge an Salzsäure zu behandeln. Er schuf kein rechtes Rot damit, sondern einen Ton, der ins Bläuliche neigte. Doch es war die erste Blutfarbe, die er jemals geschaffen hatte, und mit ihr malte er einen Engel, der ihm nicht verstorben erschien, sondern ein wenig Seele besaß.
Zur gleichen Zeit, als Samuel sich mit der Farbe zufrieden zeigte, regte sich in Marthes Schwester Misstrauen. Sie sah die andere frühmorgens beim Aufstehen schwanken, zurück ins Bett gleiten, die blutleeren Lippen verzweifelt aufeinander pressen. Ihr Gesicht war weiß wie das Laken, auf dem sie lag – der ständige Blutverlust machte sie elend. Und als Marthe sich vorbeugte, um sich zu übergeben, fühlte sie sich zum Würgen zu schwach. In diesem Augenblick stieg in ihr eine Verzagtheit auf, die sie nie gekannt hatte, die Ahnung, wogegen sie ihren leeren Alltag eingetauscht haben könnte, und dass sie der Zeit nicht voraus war, sondern geschwächt der ihr bestimmten Spanne hinterhertrottete.
Ihre Schwester sah, dass sie weinte.
»Verstehst du nicht«, stöhnte Marthe hoffnungslos. »Ich will besser leben als ihr!«
Die Schwester drängte zu wissen, was mit ihr geschehen sei, und bedeutete ihr, dass sie – wenn sie leben wolle – wieder Farbe annehmen und das Verzweifeln aufgeben müsse. Sie war sehr stark mit einem Male, viel stärker als Marthe, voller Rottöne und Frohmut und Lebendigkeit.
Da beugte sich Marthe vor, erzählte stotternd und schluchzend, was ihr geschehen war, warum es ihr so schlecht erging und was sie erhofft habe von dem Unaussprechlichen.
Kopfschüttelnd gab die Schwester die Kundschaft an Bruder Lothar weiter, der fluchend an Marthes Bett geeilt kam, beschämt und in die Enge getrieben von dem, was er da hörte. Heftig fiel sein Schwur aus, dass einer wie Samuel nicht ungestraft davonkommen dürfe, dass er der Rache gewiss sein könne und dass sie, Marthe, ihn nie wiedersehen dürfe.
Baron Lothar war aufbrausend, aber gutmütig, dröhnend, aber zweifelnd, protzte gerne mit seiner Mannhaftigkeit, aber versank in Melancholie, wenn sich kein Anlass dafür bot. Dann wurde er von dem Verdacht verfolgt, dass einer wie er, der er von einer schwächlichen Tante erzogen worden war, nicht die Tugenden eines echten Kerls aufbringen könne und in der Welt scheitern müsse.
Nun gab es Gelegenheit, gegen dieses Scheitern anzugehen und alle Tugenden zugleich einzufordern, denn nun hatte sich der abscheuliche Samuel von Altenbach-Wolfsberg, der dereinst aus dem stinkenden Leib einer unehrenhaften Frau gekrochen war, an seiner Schwester versündigt und diese entehrt.
Mit seinen engsten Freunden und den stärksten Männern der Dienerschaft kam Baron Lothar zornesrot und rasend zum Hof des Grafen von Altenbach geritten, schreiend und tobend, auf dass alle von der Schande erführen, die seiner armen Schwester angetan worden war, und auch, dass Samuel ein missratener, von bösen Geistern gezeugter Wechselbalg sei. Das Blut unschuldiger Jungfrauen schlürfe er in seinen gierigen Schlund.
Beim Hof des Grafen angekommen, schrie er dies nicht nur den eigenen Leuten zu, sondern auch den versammelten Mägden, Knechten, Pächtern und Häuslern, schmückte seine Geschichte aus und ergänzte sie um schauerliche Gerüchte. Er lärmte und bellte und kreischte und knurrte. Man glaubte ihm gerne.
»Samuel hat sich heimtückisch das Vertrauen meiner liebsten Marthe erschlichen! Wer weiß von ihm anderes, als dass er in seinem Zimmer hockt und Verbotenes treibt? Hat er jemals geleistet, worauf sich mit dem Stolz des arbeitenden Mannes blicken ließe? Sein Gesicht ist kalt, erstarrt und böse! Er ist ein Lügner, Fallensteller und Dieb! Hütet euch vor ihm! Hütet euch!«
Lena kam in den Hof gerannt, erfuhr, was geschehen war, und hörte Grete an ihrem Ohr spotten und lachen.
»Jetzt geht’s ihm recht! Jetzt geht’s ihm recht!«, schrie Grete in das allgemeine Toben hinein, in Lothars Geschrei und in das Gelächter und Gemurre und Gefrage, das darauf folgte. Lena starrte Grete
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