Engelsblut
mehr in die Heimat zurückkehren konnte, verließ er Hamburg, wo er studiert hatte, und verdingte sich in Lüneburg als Hauslehrer. In den herrschaftlichen Häusern lernte er das feine Leben anderer zu schätzen und erfuhr, dass es in diesem feinen Leben etwas gab, was zum Allerfeinsten, Allerreinsten, Allerschönsten zählte – die Kunst.
Kunst hatte mit Fisch nichts gemein. Kunst stank nicht. Simon Grothusen verliebte sich in die Kunst.
Dies bekundend glänzten seine Augen, und seine Handbewegungen wurden ausufernd.
Dann beherrschte er sich wieder, berichtete gleichmütig davon, dass er es den vielen Hauslehrern, Gelehrten und Hofmeistern seiner Zeit gleichgetan hätte, die ein Zubrot erwarben, indem sie mit Kunst handelten. Was ihn unterschied, war die Begeisterung, mit der er sich in jenes Metier stürzte. Er begann im Kleinen, aber nahm sich große Vorbilder – Kunsthändler wie die Forchoudt, die schon vor vielen Jahrhunderten von Utrecht und Antwerpen aus ganz Europa beliefert hatten, den großen Gersaint aus dem vorrevolutionären Frankreich, das berühmte Auktionshaus der Familien Sothebys in England.
Ähnliches gab es in deutschen Landen kaum. Als Grothusen den Kunsthandel kennen lernte, gab es dafür nur wenige Regeln, sondern er beruhte auf den flüsternden Stimmen einzelner Männer, welche ihre Kontakte zu reichen Familien nutzten und ihnen den einen oder anderen Künstler näher brachten. Große Namen waren selten. Man wusste von Johann Heinrich Merck, von den Grosmanns aus Regensburg, den Mangots in Frankfurt, den Des Vigneux in Mannheim.
Simon Grothusen wollte sie übertrumpfen. Simon Grothusen wollte der Größte werden. Simon Grothusen liebte die Kunst.
An diesem Ziel arbeitete er langsam, aber beharrlich. Über Jahre handelte er nur mit Kacheln und Spielkarten, Kupferstichen und Kunstdrucken. Bei Artaria und Fontaine in Mannheim wurde er später als Lehrling angestellt, lernte Offerten zu katalogisieren, Werke anschaulich zu schildern und nach den Regeln der Kunstrhetorik zu sprechen. In den hellen Kontoren, Schauräumen und Kunstsalons fühlte er sich daheim. Hier war alles, wonach sein Leben gestunken hatte, nur noch Erinnerung. In der Zukunft, die unbefleckt vor ihm lag, wollte er eine eigene Galerie haben.
Später, nachdem er alles Wichtige gelernt hatte, verließ er Mannheim, um sich eine reiche Stadt zur Niederlassung auszusuchen, wählte Frankfurt und fahndete nach einem Kreis von Künstlern, die sich groß machen ließen.
An dieser Stelle seiner Erzählung erklärte er das oberste Gebot seiner Zunft.
»Man muss von Zeit zu Zeit auf unbekannte Maler setzen, um in Kontakt mit dem Nachwuchs zu bleiben«, schloss er. »Wenn man etwas Gutes erwischen will, heißt es, einen langen Atem haben.«
Vertraulich zwinkerte er Samuel zu. Andreas glotzte immer noch dumpf. Lena blickte weiterhin zur Seite.
Simon Grothusen lachte.
»Ja!«, rief er. »Und einer dieser unbekannten Maler bist du, Samuel!«
Erstmals wurde dessen Blick lebendig. Grothusens Erzählung hatte ihn kaum berührt – nach deren Ende bekundete er jedoch umso heftiger, was ihn selbst trieb, was er erreichen wollte und wofür er des Doktors Hilfe gerne in Anspruch nehmen wollte.
»Ich will Engel malen, so wie ich dereinst Menschen malte – ohne Trug, Verstellung und Verzerrung. Ich will, dass jedermann von diesen Bildern berührt ist, dass er erbebt, weint und schreit.«
Grothusen lächelte nachlässig, aber verständnisvoll. »Gewiss doch. Ich verstehe dich. Ich werde dir dabei helfen.«
»Wirst du mich in der Stadt so bewerben wie hier vor den anderen Künstlern?«, fragte Samuel. »Wirst du dafür sorgen, dass Menschen mir ihr Blut zum Malen geben?«
Grothusen stieß ihn gönnerhaft an.
»Die Methode musst du mir überlassen. Wir wollen nichts überstürzen und nicht unnötig schockieren. Die Hauptsache bleibt, dass wir dein erstes ›Cronberger Bild‹ verkaufen.«
Selbstzufrieden begann er an einer seiner spitzen Zigarren zu saugen und vertrieb rauchend den Geschmack seiner Erinnerungen.
»Soll ich malen, brauche ich Blut«, sagte Samuel.
»Ja«, erklärte Grothusen, und stieß ihn ein zweites Mal an, »und ich werde dir meines geben.«
Nachdenklich sah er auf Lena. Sie runzelte die Stirne, aber erhob keinen Einwand.
»Kein Opfer soll mir zu groß sein«, meinte Grothusen und lächelte wieder gewinnend. »Schließlich liebe ich die Kunst.«
Mit ausgeklügeltem Plan begann Grothusen für Samuel zu werben.
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