Engelsblut
Vorsichtig setzte er dort an, wo etablierte Künstler, Akademien oder der Rheinische Kunstverein – die mächtigsten Rivalen – nicht zu fürchten waren. Bei einem Neuentdeckten sei auf den einzelnen Käufer zu setzen, welcher sich noch nicht auf den Kunstmarkt eingelassen habe, erklärte er. Über diesen sei ein dicht gesponnenes Netz auszuwerfen. »Und wer könnte dies besser als ein Fischersohn?«
Samuel vermochte nichts mit Grothusens Plänen anzufangen. Das Werben war ihm fremd. Nachdem er sein Bild vollendet hatte, folgte er Grothusen verlegen nach Frankfurt und war erstmals froh, dass Lena mit ihnen ging und er mit dem Doktor nicht gänzlich allein sein musste.
»Nicht schüchtern sein!«, munterte ihn Grothusen auf. »Wir brauchen dein Gesicht zu deinem Bild. Man will doch sehen, auf wen man setzt!«
Als sie die Stadt erreicht hatten, zeigte Grothusen zuerst seine Galerie. Die Räume waren klein und niedrig, aber lichtdurchflutet und reinlich. Auf weißen Wänden waren Bilder ausgestellt, die Samuel nicht kannte und ohne Interesse musterte. Lena verharrte reglos am Eingang. Sie hatte noch nie so weiße Wände gesehen.
Immer noch schweigend begleitete sie Grothusen und Samuel zu einer der Frankfurter Bürgerfamilien. Wieder blieb sie am Tor stehen und wollte nicht durch die Halle nach oben folgen.
»Komm doch mit!«, rief Grothusen mit leisem Spott. »Du klebst doch auch sonst fest an Samuels Seite.«
»Es gehört sich nicht«, erwiderte sie rasch und blickte ihm das erste Mal seit Wochen wieder ins Gesicht. »Ich bin eine Magd, die aus dem Kuhmist kommt, und das ist ein feines Haus.«
»Na und?«, gab Grothusen zurück. »Und ich bin nur ein Fischersohn, und sieh an, welchen Stoff ich trage, wie sauber die Wände meiner Galerie sind und von welchen Speisen ich mich in Frankfurt nähre. Wenn ich hineingehe, darfst du es auch.«
Lena aber schüttelte den Kopf und verharrte in der Halle. Schulterzuckend zog der Doktor Samuel mit sich, der gleichfalls zu zögern schien.
»Vielleicht mag sich ein armes Mägdelein vor dem Bürgertum fürchten, doch gewiss nicht ein Grafensohn!«, lachte der Doktor ihn aus. »Und außerdem solltest du bedenken: Wir sind hier nur bei den Zweitbesten zu Gast. Diese Familie mag sich hochherrschaftlich benehmen, aber sie ist erst jüngst zu Reichtum gekommen und kämpft noch darum, der feinsten Liga der Stadt zuzugehören.«
Samuel legte sein Zaudern auch vorm Hausherrn – dem Oberhaupt der Familie Passavant – nicht ab. Jener war höflich, aber zurückhaltend, empfing sie verspätet und schien so wenig mit den Gästen anfangen zu können wie Samuel mit ihm. Unbeeindruckt von den beiden Wortkargen – Künstler und Käufer – zeigte Grothusen das Bild, welches Samuel gefertigt hatte, und pries ihn als den Ersten unter jenen, um welche in den nächsten Monaten und Jahren eine heftige Schlacht entstehen würde.
Passavant antwortete mit wenig Begeisterung.
»Das Bild gefällt mir nicht«, erklärte er, ohne es eingehend zu studieren.
Geschmeidig tänzelte Grothusen um ihn herum. Das abfällige Urteil schien er kaum zu hören. Während er sich bislang nur als geschickter Kaufmann gegeben hatte, begann er sich nun mit blecherner Stimme und erprobter Gestik groß zu reden.
»Aber mein Herr! Ich möchte meinen, Ihr unterschätzt, was ich Euch biete!«, erklärte er, fixierte den Blick des anderen und vollführte eine dienernde Bewegung. »Ihr seht hier nicht nur ein Gemälde von großer Erhabenheit und stilistischer Genauigkeit – vielmehr einen künftig Großen. Wie könnt Ihr besser Eurer Weltgewandtheit und Bildung Ausdruck verleihen, als in ihn zu investieren?«
Passavant glotzte träge. Nachdenklich runzelte er die Stirn.
»Das Bild gefällt mir nicht«, wiederholte er stur.
»Ihr wollt doch zur ersten Reihe der Frankfurter Bürgerschaft zählen!«, fuhr Grothusen fort. »Ihr wollt an Ansehen den Mumms und Rothschilds gewiss nicht nachstehen! Soll es etwa reichen, an Debattierclubs teilzunehmen und Lesekabinette zu fördern? Nein! Viel Ruhmvolleres schafft Ihr, wenn Ihr den Namen eines Künstlers an die Stadt bindet, der Ihr so viel verdankt! Dass Ihr Geld habt, glaubt jeder! Dass Ihr Kunstverstand besitzt, könnt Ihr jetzt beweisen!«
Der Reiche kam ins Grübeln.
»Das Bild gefällt mir nicht«, trotzte er nunmehr etwas vorsichtiger.
»Es muss doch gerade Euch ein Anliegen sein, den Künstler aus der Vormundschaft des Adels zu befreien. Bei Kunst enden
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