Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engelsblut

Engelsblut

Titel: Engelsblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kroehn
Vom Netzwerk:
über ihn zu wundern.
    Später kam er gebückt an Samuels Seite gekrochen, beugte sich nachlässig zu ihm und lächelte glitschig in einem fort.
    Samuel rückte von ihm ab, um Berührung zu meiden. Vor dem Doktor fliehen wollte er dennoch nicht. Als jener von dem Engel geredet hatte, den Samuel zu malen befähigt wäre, so war ihm dieser kurz und stark vor Augen gestanden, gleich so, als hätte eines der himmlischen Geschöpfe flügelschlagend den Raum durchquert. Das Gespött des Doktors hatte das Bild erstarren, wiewohl nicht verlöschen lassen.
    »Wie viel Ernst und wie viel Witz stand hinter deinen Worten?«, fragte Samuel und erkannte Doktor Grothusen zum ersten Mal als würdigen Helfershelfer.
    Der gab aber keine Antwort, sondern bekundete gleichmütig: »Vielleicht ist mein Wort doch stärker als dein Bild.«
    Ein zweites Mal geschah es im Morgengrauen, dass alle anderen schliefen, Simon Grothusen und Lena aber wachten.
    So streng wie beim ersten Mal richtete sie sich vor ihm auf, blickte auf ihn hinab und stellte ihn zur Rede für das, was geschehen war: »Erklärt mir, warum Ihr das getan habt! Erklärt mir endlich, was Ihr von Samuel wollt!«
    Grothusen blickte zwar nicht müde, aber aus blassem Gesicht. Er musterte sie merkwürdig zahm wie schon eine Woche zuvor. Nur seine Stimme war so metallisch, wie er zu allen sprach.
    »Ich hab’s doch schon so oft gesagt«, bekannte er. »Ich liebe die Kunst und möchte Künstler fördern.«
    Sie gab sich mit der Antwort nicht zufrieden, sondern stemmte ihre Hände ärgerlich in die Seiten. Der Doktor verwirrte sie. Er setzte ihr zu mit seiner einfachen Gestalt, die nichts verhieß und doch eine Stärke barg, die sie stets aufs Neue zum Beben brachte.
    »Was wollt Ihr von Samuel?«, drängte sie ein zweites Mal.
    Gedankenverloren blickte Grothusen auf seine Hände. Er beobachtete ihr Zittern, als gehörten sie nicht zu seinem Körper.
    »Dies ist meine größte Schwäche«, bekannte er ohne Scham. »Ich neige zur Nervosität. Ich vermag meine Hände nicht unter Kontrolle zu halten. Als ich das erste Mal eine Frau genoss, war es so, dass ich danach zitterte und nicht mehr aufhören konnte damit. Ich vermeinte, dass alle Dämonen der Hölle über mich gekommen wären. Später erlebte ich Gleiches, wenn ich die Kirche besuchte, ein Examen bestritt, mit Studienkollegen in Widerspruch geriet. Ich kann meine Hände nicht beherrschen. Ich bin aber dabei, es zu lernen.«
    Lena ging nicht darauf ein, sondern schüttelte unwirsch den Kopf.
    »Was wollt Ihr?«, bedrängte sie ihn.
    Unwillkürlich neigte er sich vor, ergriff, ehe sie es verhindern konnte, ihre Finger und hielt sie, wenn auch nicht stark wie beim ersten Mal, so doch ohne Zaudern und entschlossen. Sie fühlte, wie sie schweißnass wurde.
    »Siehst du«, raunte Grothusen, »wenn ich dich halte, dann zittern meine Hände nicht.«
    So hastig, wie er sie gepackt hatte, ließ er sie wieder los, verbarg die Hände nun hinter seinem Rücken und gab auf ihre Frage Antwort.
    »Wer ein guter Künstler ist, dem soll durch mich zu einem Leben verholfen sein, das ihm zusteht. Ich will für Anerkennung und gerechten Lohn sorgen. Ich will Bilder verkaufen und Menschen berühmt machen.«
    Lena ließ nicht locker.
    »Aber warum ist dies Euer Begehr? Wer seid Ihr? Woher kommt Ihr?«
    Sein Blick brach. Sein Lächeln verdorrte.
    »Ich tauge dazu, Samuel groß zu machen«, erklärte er stockend, und dann erzählte er ihr mehr, als alle anderen von ihm wussten. »Ich tauge dazu, weil ich nichts weiter bin als ein elender Fischersohn aus Husum, der nichts so sehr hasst wie den Gestank von Fisch. Ich habe mich der Kunst geweiht, weil sie sauber ist. Ich habe mich der Kunst geweiht, weil sie mich befreit hat vom Fisch. Ja, mein Leben hat gestunken und war dreckig – aber hier kann es sauber werden. Die Kunst kann es sauber machen. Die Kunst ist das Reinste, was es auf Erden gibt.«
    Lena erkannte ihn. Sie begriff, wer er war und was ihn trieb. Sie blickte in sein Gesicht und in seine Seele und war vertraut mit allem, was er ihr sagte.
    »Fisch stinkt so hartnäckig wie Kuhmist«, fügte Doktor Simon Grothusen flüsternd hinzu, »es könnte sein, dass wir uns gleichen.«
    Verlegen zuckte er die Schultern. Seine Stimme klang schüchtern und verzagt, sobald sie den metallischen Klang verlor.
    Lena aber wandte sich hastig ab. Grothusen machte ihr Angst.

Lange stehe ich in dem kleinen Raum, ohne dass Lena ein weiteres Wort verliert. Ihr

Weitere Kostenlose Bücher