Engelsblut
beruhigt; ich werde niemals wieder in einem kalten Loch hausen, von meinem Vater getreten werden und aus einem wackeligen Boot ins Meer kotzen müssen, sondern mein ganzes Leben lang an Samuel verdienen.
Anschließend löschte er die Kerze und versuchte zu schlafen. Er konnte es nicht. Wenn die Finsternis an ihm fraß, vermochte er sie mit dem Gedanken an die vielen Münzen und Scheine nicht zu sättigen. Ruhelos warf er sich hin und her und wurde von jenen Gedanken heimgesucht, die er sich des Tags nicht gönnte. Er dachte an Lena, wie zurückhaltend und still sie sich in Andreas’ Palais gebärdete und dass sie dem Reichtum und der Vornehmheit misstraute – noch mehr aber ihm, dem Doktor. Wenn er sie sah, scherte er sich nicht um das Misstrauen. Des Nachts aber schmerzte es so laut wie das Begehren seines Körpers. Er wollte sie fassen – nicht nur mit heimlichen Blicken, sondern mit seinen Händen. Er wollte umgekehrt ihre Finger spüren, wie sie ihn packten und festhielten und streichelten und liebkosten – viel inbrünstiger, als je eine andere Frau es konnte.
Lena war stark. Lena besaß etwas, das andere Menschen dazu brachte, ihrem Blick und ihrem Schrei Ungeheuerliches nachzusagen. Lena würde einen wie ihn ertragen können, seinen Ekel vor Fisch heraussaugen und ihn das Geld vergessen machen, dem er so gierig hinterherjagte.
Nach mehreren schlaflosen Nächten ließ er sich aus Salzburg Huren kommen, auf dass sie ihm zu Diensten wären und ihn nicht länger an Lena denken ließen. Bereitwillig gingen sie auf das Geschäft ein, denn Simon Grothusen sprach sich schnell als einer herum, der gerne mit seinem Reichtum protzte und mit dem sich darum gutes Geld machen ließ. Es war auch gar nicht viel für seinen großzügigen Lohn zu tun. Wenn er erst eine der Frauen bei sich hatte, so wünschte er nichts weiter, als sie nackt zu begaffen. Sie zu berühren widerte ihn an, denn ihm war, als würden alle diese Frauen – ganz gleich, welches Parfüm ihre Körper umgab und wie viel Schminke ihre derben Züge verbarg – nach Fisch riechen.
Lena, dachte er, würde nicht stinken.
Anstatt zu liebkosen und zu küssen, legte er sich mit ausreichendem Abstand neben die Huren und erzählte von ihr.
»Sie ist stark«, murmelte er, »sie ist mutig – und wen sie liebt, den liebt sie ganz.«
Eine der Frauen, die Lena auf dem Weg zu Grothusen erblickte, war über das Lob erstaunt.
»Was treibt Euch bloß zu ihr?«, fragte sie lachend. »Sie hat den Schritt eines Mannes und keine Schönheit, die dafür entschädigt! Wenn du ihr das beste Gewand umlegst, so könnte ich schwören, dass ihre Fingernägel dennoch dreckig blieben!«
Unwirsch rückte Grothusen von ihr ab.
»Schweig!«, zischte er bitterböse. »Sie kann einen Mann halten und ihn alles vergessen machen!«
»Das könnte ich auch«, lachte die Hure. »Wenn du mich ließest!«
»Schweig!«, brüllte Grothusen erneut. »Ich will kein schlechtes Wort über Lena hören!«
Des Morgens brachte er die Hure zum Hintereingang, bezahlte sie üppig, aber untersagte ihr streng wiederzukommen.
Er hätte keinen Bedarf mehr. Sie solle an ihresgleichen weitergeben, dass es beim Doktor Grothusen nichts mehr zu holen gäbe.
Schulterzuckend steckte sie das Geld ein.
»Sollt mich wundern, wenn Ihr von dieser Lena jemals das erhalten würdet, was ich Euch geben kann!«, spottete sie im Gehen.
Unwillig blickte Grothusen ihr nach und gewahrte, als er vom Tor zurücktrat, dass ihre Worte nicht der letzte Spott waren, den er an diesem Morgen zu hören bekommen würde.
Samuel – der sich sonst nur selten im Palais herumtrieb, stattdessen meist malend in seinem Zimmer hockte und Gesellschaft nicht suchte, sondern sie nur gewährte – stand gleichmütig und steif vor ihm.
Wiewohl er wortlos blieb und sein Blick nicht anzüglich war, wurde Grothusen schamrot im Gesicht und fühlte sich an jene Stunde erinnert, da Samuel ihn vor allen gemalt und entblößt hatte. Gewiss würde er seine Gier nach Lena erkennen und dass er sich andere Frauen holen ließ, aber deren Körper nicht gebrauchte. Gewiss würde Samuel begreifen, dass Grothusen nicht nur die Geldgier zu ihm zurückgetrieben hatte, sondern sein Verlangen nach der einzigen Frau, die nicht nach Fisch stank.
»Was stehst du und glotzt?«, fuhr er Samuel unwirsch an. »Solltest besser Engel malen, oder denkst du, sie sind bereits gut genug, auf dass die Menschen darob erbeben, schreien, weinen?«
Samuels Lächelnd
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