Engelsblut
ist offenbar, dass, wer dies gemalt hat, von seiner Kunst wenig versteht. Offenbar hat er nur solchen Unterricht empfangen, wo man die Schüler zum Zeichnen und Kopieren anhält, ohne sie das Geringste an Poesie zu lehren. Die Wahl der Motive ist von gröbstem Unverstand geleitet. Die Künste dürfen nicht zu Albernheiten dienen, sondern einzig zur Bildung unseres sittlichen Gefühls beitragen. Wer glaubt, auf eine Akademie verzichten zu können, wie dieser Samuel Alt, ist suspekt – ist diese doch der einzig mögliche Bildungsort für Künstler!«
Grothusen verhielt sich, als träfe die Beleidigung ihn persönlich. Er verlangte Vergeltung im Falle, dass der Professor seine Worte nicht zurücknähme. Samuel der Lächerlichkeit preiszugeben hieße, die Namen derer, die im Palais zu Hagenstein lebten, zu beschmutzen. Wo komme man hin, das Kunsturteil einem begrenzten Kreis von eingebildeten Professoren zu überlassen.
Diesmal befahl er einer ausgewählten Schar, dem dreisten Mann zur nächtlichen Stunde eine Ladung Kuhmist in den Lehrsaal zu schmeißen. Die nahmen ihn wörtlich, und mehr als das. Es waren unter ihnen solche, die in Samuels Gefolgschaft Geld witterten. Womit sie es bislang verdienten, hatte nie jemand gefragt. Als sie aus München zurückkehrten, fand man den Professor geschunden und ohnmächtig in der Gosse, und ob er jemals seine Gesundheit wiedererlangen würde, schien nicht gewiss. Bezüglich der Täter gäbe es Vermutungen, man habe sie aber nicht erwischen können.
Bald ging der Ruf um, Samuel male nicht nur Blutbilder, sondern umgebe sich mit roher Gewalt. Seine Getreuen seien Schläger. Seine Schüler grausame Sadisten.
Als sich die Gemeinschaft im Saal versammelte, um die Lage zu besprechen und Wege zu suchen, das Vorurteil zu widerlegen, wurden Stimmen laut, die sich nicht nur gegen ferne Kritiker richteten. Einer bekundete, dass er nicht mit Gewalt in Ver bindung gebracht werden wolle. Ein anderer, dass die Professoren der staatlichen Akademien bestenfalls bestochen, niemals jedoch im Namen von Samuel verprügelt werden sollten.
Am lautesten und empörtesten von ihnen allen aber war Lena. Während Samuel schwieg und Andreas mit ihm, ging sie auf Grothusen los.
»Du machst dir einen Spaß daraus, Samuel in Misskredit zu bringen!«, rief sie zornig. »Gib’s doch zu, dass du nichts weiter willst, als dass man seiner schimpft und spottet! Du wirst es so lange treiben, bis er allen als Rohling ohne Können erscheint – und dann wirst du händereibend weiterziehen!«
Ihr Angriff kam unerwartet. Grothusen versuchte sich zu beruhigen, indem er hektisch rauchte.
»Solltest dich fragen, liebe Lena«, gab er harsch zurück, »wer denn aufgebaut hat, was du um dich siehst. Wenn du im Denken gut wärst wie im Zetern, würdest du wissen, was Samuel mir verdankt!«
»Dir verdankt?«, zischte sie. »Tu nicht, als schertest du dich um seine Engelbilder!«
Empört ließ er seine Zigarre fallen und paffte ihr kalten Rauch ins Gesicht. »Als ob du eine wärst, die was von Kunst versteht und sich nach Engelbildern sehnt! Ha! Dein trostloses Geschick ist, dass du dich begnügen musst, deine Äuglein nach ihm auszustrecken, weil du ihn nicht zwischen deine Beine kriegst! Gib dich nicht als Sanfte und Bescheidene! Als ich dich zum ersten Mal erblickte, warst du dabei, auf Samuel einzudreschen!«
»Und als ich dich zum ersten Mal sah«, schrillte sie zurück, »da warst du nichts als ein kleiner Fischersohn, der sein Maul randvoll hatte mit gehässigen Phrasen. Wenn du meinst, ich würde nach Samuel gieren, so möchte ich nicht wissen, wie gern du nach meinem Körper fassen tätest!«
»Ha!«, kreischte er, und er kümmerte sich nicht darum, dass es still geworden war um sie und jeder ihrem Zank lauschte. »Ha! Und hätte ich nicht das größere Recht, nach dir zu verlangen als du nach ihm? Kommst du nicht aus dem Kuhmist gekrochen wie ich aus den Leibern von toten Fischen?«
Beschwichtigend versuchte Andreas sie zurückzuhalten. Lena aber schüttelte ihn ab und ging mit beiden Fäusten auf den Doktor los.
»Maß dir nicht an, mir zu sagen, wem ich gehöre!«, schrie sie vor Wut und Ohnmacht, die viele Monate alt waren. »Hab’s dir schon einmal gesagt: Ich bin es und nur ich, die ich mir meinen Mann erwähle!«
Er duckte sich vor ihren Fäusten, aber er fürchtete sie nicht. »Deinen Mann?«, lachte er bitterböse. »Hast du ihn jemals gefühlt – deinen erwählten Mann? Hast du jemals mehr von
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