Engelsblut
ihm gekriegt als seinen sauberen Anblick?«
Sie schnaubte vor Zorn und hob ein weiteres Mal die Faust, ihn zu schlagen. Da packte er entschlossen und unnachgiebig ihren Arm – wie damals in Frankfurt, als sie in ihm den ersten Menschen verspürte hatte, der stark war wie sie, ihr ähnlich und ihr ebenbürtig.
Lena hielt den Atem an, als wolle sie den Körper tot stellen. Jener aber zeigte sich verräterisch. Heiß stieg ihr nicht nur Zorn ins Gesicht, sondern jene rote, feuchte, gierige Lust, die sie nicht hatte fühlen wollen in all den Monaten, da Grothusen für Samuel warb, und die ihr doch so vertraut war. Bis zu den Füßen richteten sich feine Härchen auf; die Hände wurden schweißnass und blieben tatenlos und schlaff in Grothusens Umklammerung.
Jener fühlte ihren heftigen, schnellen Puls jagen, begann mit ihr zu zittern und schmeckte plötzlich nicht mehr die eitle Zufriedenheit der letzten Jahre, sondern Unbehagen ob ihres nahen Gesichtes, ihrer geröteten Haut, ihres hastigen Atems – Unbehagen und auch Enttäuschung, weil all diese verräterischen Zeichen ihm doch nicht helfen würden, ihr näher zu kommen.
Kichernd richteten alle ihre Blicke auf sie.
»Lass mich los!«, flüsterte Lena erstickt. »Lass mich los!«
Grothusen lauschte ihrer Stimme nach. Er hoffte, ein Zeichen zu finden, dass diese Bitte halbherzig war und nur notdürftig vertuschte, dass sie ihn begehrte. Dann fiel ihm ein, dass ihr Begehren doch nichts nutzte. Es stand nie außer Zweifel, aber sie würde es niemals aussprechen, weder heute noch morgen. Sie würde ihn vor allen Leuten zum Narren machen; ihretwegen verhielt er sich wie ein liebestoller Mann, der sich noch so viele Huren kommen lassen mochte und doch in seiner Manneskraft versagte, weil er nur an sie dachte, fortwährend, all die Zeit. Wenn er sie noch länger auf diese idiotische Weise festhielt, müssten es unweigerlich alle erkennen. Samuel hatte es erkannt. Samuel wusste, dass Grothusen Lena liebte, Lena aber nur ihn selbst.
Da fiel Grothusen nichts anderes ein, als sich mit dem Mittel zu wehren, das er am besten beherrschte. Indem er redete, bestrafte er Lena, und zugleich entblößte er einen Plan, von dem sich nicht gewiss sagen ließ, ob er in langen Nächten ausgeklügelt war oder ob Grothusen ihn jetzt gerade ausheckte, weil sie ihn gedemütigt hatte. Nachdem er laut begonnen und flüsternd geendet hatte, war alles in ihrem Leben verändert.
»Samuel malt Engel, anstatt dich zu lieben«, begann er. »Und ich meine, man sollte ihm dieses Vergnügen lassen. Ich meine auch, dass er ganz anders zu leben hätte, wollte er wirklich den schönsten aller möglichen Engel malen, einen, der Menschen dazu bringt, zu beben und zu weinen und zu schreien. Zu sehr ist er Teil von uns. Zu sehr ist er Blicken wie den deinen ausgeliefert. Ich aber sage, dass niemand ihn schauen, niemand ihn begleiten, niemand ihn stören sollte, wenn es darum geht, sie einzufangen: Raphael, den Chormeister, Gabriel, den Stützer des Himmelsthrones, Asrael, den Planetenführer, Michael, den Feldherrn, Asraphael, den Dekorateur der Welten, Dedrael, den Zahlenmeister, und schließlich Schemkel, den Schutzherrn der Maler. Wenn er sie fangen will, so soll er ihnen nachlaufen. Wenn er sie verewigen will, so soll er nach ihrem Zeitmaß leben. Wenn er sich dem Himmel weiht, so soll er von irdischen Dingen endgültig lassen!«
Seine Stimme war hitzig, sein Lächeln kalt. Heimtückisch kam er Lenas Gesicht nah, um ihr weiter zuzusetzen. »Wer seiner Kunst dient und mit ihm malt«, raunte er, »darf zur auserwählten Stunde Samuel sehen. Ansonsten aber gilt es, ihn sorgsam vor den Menschen zu behüten. Wir wollen es einrichten, dass er ein Zimmer im obersten Stock bekommt und nicht wieder unter unsereins tritt. Wir wollen zusehen, dass er nur mehr zur mitternächtlichen Stunde malt, weil dann, wie es bei Hippolyt geschrieben steht, die Geschöpfe Gottes am eifrigsten fliegen. Des Tags aber soll er ruhen. Ja, dies sei unser aller Beschluss: Samuel muss einsam sein – und wir werden den Platz um ihn freihalten.«
Mit dem letzten Wort ließ er Lenas Hand fallen. Erschöpft entzündete er eine seiner Zigarren und saugte daran.
Lenas Faust öffnete sich, ohne nach Grothusen zu schlagen.
»Nein«, stammelte sie, während die Hand ihr schlaff den Leib hinab hing. »Nein, das soll dir nicht gelingen, Samuel von mir wegzusperren!«
Hilfesuchend drehte sie sich um. Andreas war der Einzige, der sich von
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