Engelsblut
sich in jener Zeit zufrieden wähnte, entspannt und vom Leben beschwichtigt.
»Nur weil ich es kann, muss ich es nicht auch wollen!«, antwortete er steif.
»Aber warum verzichtest du darauf, so tief in die Menschen zu sehen, wie’s keinem anderen gelingt?«
»Ist nicht Verzicht, was mich treibt«, erklärte Samuel hastig und beschwor andere Erinnerungen herauf – an Andreas Gesicht, dessen Liebe nichts als trotziges Beharren und Furcht vor den eigenen Begierden war. An seine Mutter Marie, die lieber in den Wahnsinn geflohen war, anstatt sich zum malenden Sohn zu bekennen. An Felicitas, die im eigenen Blut gestorben war, um sich für ihre sinnlose Treue zum Grafen zu bestrafen. »Nein, gewiss kein Verzicht! Jedoch verhält es sich so, dass dieses armselige Pack einfach nicht verdient, von mir gesehen zu werden.«
Matteo hob seine Augenbraue. »Ach ja?«, gab er spottend zurück. »Wie mag’s dann aber sein, dass das Pack gut genug ist, dir Blut zum Malen zu geben?«
»Der Menschen Lebendigkeit dient mir, solange diese nur rein gewaschen ist von ihren Fratzen und Gestalten!«
»Also stiehlst du ihre Seelen – aus Rache, dass du sie verachten musst!«
»Ich bestehle sie nicht! Sie schenken mir ihr Blut aus freien Stücken!«
»Ja, ja«, höhnte Matteo, »beschwatzt von Doktor Grothusen und bestochen vom bequemen Leben ... Aber sei’s drum. Jedenfalls scheint’s so, dass du die Menschen brauchst – ganz gleich, wie schlecht du von ihnen denkst.«
Samuels Blick wurde stechend. Widerspruch war er nicht gewohnt und noch weniger das Unbehagen, das des anderen Spott in ihm hervorrief.
»Nein!«, kreischte er auf, vertrieb den kritischen Geist und gleichsam den Zweifel, den jener säte. »Nein! Ich brauche sie nicht! Sie sind es, die mich brauchen! Ja, sie brauchen mich, um dereinst das schönste und vollkommenste Bild zu erspähen, das jemals auf dieser Welt gemalt wurde!«
Matteo Luigi verließ das Palais, aber er wurde nicht vermisst. Andere traten an seine Stelle – auch eine Johanna von Küblach, von deren Ruf als »Malweib« in späteren Jahren ganz Europa hörte. Sie hatte nicht nur einen außergewöhnlichen Zeichenstil, sondern teilte Grothusens Talent, den Engelbildern wirtschaftlichen Wert abzuringen, sie anzupreisen und zu verkaufen.
Jene Engel malte Samuel in allen Gestalten und in allen Formen – Kinderengel, die die Zeit im Himmel verspielten, Verkündigungsengel, die ernsthaft und bescheiden die große Nachricht Gottes an Maria weitergaben, Todesengel, die sanft ihre Hände um Sterbende legten, Heerscharen, die mit Schwert und Lanze in Gottes Krieg gegen die Dämonen zogen, Engel des Jüngsten Gerichtes, die sorgsam die Waagschale mit guten und bösen Taten füllten.
Gemeinsam mit den Schülern erprobte Samuel auch verschiedene Methoden, mit Menschenblut zu malen. Anstatt wie anfangs daraus Pigmente zu ertrocknen, bemühte er sich darum, eine Dosierung zu finden, mit der sich das Blut zum kleinen Teil mit fertiger Farbe mischen ließ, ohne dass die Bilder später faulten und dunkelten. Manch einer der Schüler sah sich zum Wettstreit angestiftet, die Prozedur der Herstellung von Blutfarben zu beschleunigen, sodass am Ende dafür nicht mehrere Tage, sondern nur mehr Stunden angesetzt werden müssten. Oft missglückte solch ein Versuch – und mehrere Bilder ließen sich nicht verkaufen, weil sich ihr Rotton bräunte.
Samuel nahm solches Missgeschick gleichgültig hin, wohingegen Grothusen den Mund verkniff und zu rauchen vergaß, wann immer er auf ein Werk für seinen Handel verzichten musste. Nie aber hätte er Samuel offen für sein Experimentieren gerügt – ausgewogen war das Gleichgewicht, wonach der eine den anderen malen und jener ihn reden ließ.
Im Übrigen tat Grothusen noch mehr, als nur zu reden. Er dachte sich nach dem ersten Jahr Symbole aus, um die Gemeinschaft zu festigen. Wer Samuel sein Blut gab, durfte sich in rote Gewänder kleiden. Wer zum Kreis der Künstler zählte, erhielt einen Ring mit rotem Rubin. Wer Engel malte wie er, sollte ein Bild von eben diesen himmlischen Gestalten als Miniatur um den Hals tragen.
Während er dies entschied, paffte er seine neuen, dicken Zigarren und wählte für sich selbst den besten und teuersten Schmuck. Er konnte es sich leisten, denn es gab genügend Einnahmen.
Grothusen führte sorgsam Buch darüber und hockte oft nächtelang über den Zahlen. Mich wird niemand mehr einen dreckigen Fischersohn nennen können, dachte er
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