Engelsblut
schwand. »Das werden sie tun«, erklärte er finster. »Das werden sie eines Tages tun.«
»Ja«, erwiderte Grothusen, fing sich wieder und lächelte seinerseits. »So will ich denn zusehen, dass jedermann in diesen Landen sie auch zu sehen und zu kaufen bekommt!«
Er wollte sich abwenden, aber Samuel hielt ihn zurück.
»Meinetwegen«, meinte er kühl, »meinetwegen könntest du Lenchen haben. Ich brauche sie nicht. Mir war’s schon in Cronberg so, als würdest du dich nach ihr sehnen, und wenn du dich tatsächlich mit einer dreckigen, unnutzen Magd abgeben willst ...«
Jetzt war er seinerseits bereit, sich abzuwenden und zu gehen. Diesmal erlaubte es Grothusen nicht. Obwohl ermüdet von der durchwachten Nacht, ging er mit geballten Fäusten auf Samuel los, packte ihn beim Kragen und schüttelte ihn hasserfüllt.
»Du verdienst sie nicht!«, zischte er. »Du verdienst sie nicht!«
Samuel versteifte sich.
»Nimm deine dreckigen Hände von mir! Wenn du mich hältst, kann ich keine Engel malen, du kannst kein Geld damit machen und wirst vielleicht eines Tages nichts als Fisch zu fressen bekommen«, zischte er voller Hohn.
Zornrot trat Grothusen zurück. Samuel aber putzte langsam den Staub von seinem Kragen, presste die Lippen zusammen und lächelte zufrieden.
Erst nachdem sich Grothusen abgewendet hatte und mit steifen Schritten verschwunden war, verfiel Samuels Lächeln. Nicht mehr spöttisch, sondern voller Groll ballte er die schmalen Hände zu Fäusten, wie eben noch Grothusen es getan hatte, und schlug damit gegen die Wände, bis sie ihm schmerzten.
»Verdammt!«, schrie Samuel. »Verdammt!«
Grothusen mochte klein beigegeben haben – aber es roch noch nach seiner traurigen Liebe zu Lena, nach seinem hoffnungslosen Begehren, nach seiner Zerrissenheit zwischen eigener Gewinnsucht und Verachtung für Samuel. Stark waren diese Gefühle, und kurz nahmen sie nicht nur Grothusen gefangen, sondern auch Samuel, hielten ihm vor, dass ihn das, was den anderen trieb, viel lebendiger und reicher deuchte als die stummen Seelenwelten seiner fahlen Engel.
Und nicht nur Grothusen verging sich in einer heimlichen Leidenschaft. So wie er Lena begehrte, wurde diese von Furcht und Unbehagen und zugleich von stiller Sehnsucht gefangen gehalten. Und so wie Lena mit ihrer Begierde zu kämpfen hatte, schmeckte auch Andreas sie jeden Tag, wenn er seinen geliebten Vetter sah.
Samuel neidete ihnen die Heftigkeit ihrer Gefühle. Keines seiner Engelbilder hatte jemals Gleiches entfesselt. Keines hatte die Betrachter so ergriffen wie Grothusen der Gedanke an Lena. Keines hatte die Gewissheit zeugen können, dass er einen wahrhaftigen Engel zu malen imstande war.
»Verdammt!«, brüllte Samuel erneut, stampfte auf den marmornen Boden, als wollte er ein Loch hineintreten und die vermeintliche Zufriedenheit und Ausgeruhtheit der letzten Monate darin vergraben. »Verdammt! Ich will mit euch allen nichts zu tun haben! Ich will euch nicht sehen müssen!«
Keuchend hielt er inne, weil ihm die Kräfte schwanden. Als er erschöpft in sich zusammensank, blieb ihm nichts anderes zu tun, als sich die Hände vors Gesicht zu schlagen und die Augen zu schwarzen, schmalen Furchen zusammenzupressen.
Als Samuels Bekanntheit über die Grenzen wuchs, stieg auch die Zahl seiner Widersacher. Für Malereien Blut zu nehmen erschien vielen ein aberwitziges Unterfangen, gegen das sich nicht nur des gemeinen Volkes Stimmen sammelten. Künstler formierten sich – Porträtisten und Kirchenmaler, die ihr Geschäft bedroht sahen, und Dichter schrieben spöttische Verse darauf. Kein Material der Welt – und sei es menschliches Blut – könne das Talent zu malen ersetzen.
Der am lautesten lästerte, sollte bitter bestraft werden. Grothusen schickte jene Männer aus, die ihn ansonsten zu den öffentlichen Stätten geleiteten, und gönnte ihnen den Spaß, den Spötter aufzugreifen und ihn gewaltsam zur Ader zu lassen. Das Opfer beschwerte sich beim Bürgermeister, welcher seinerseits befahl, sämtliche Geschäfte mit den absonderlichen Bildern offen zu legen und dem Staat die vorgeschriebenen Abgaben zu überlassen. Grothusen grollte – und zahlte.
Heftiger fiel der Streit mit den Akademien aus. In Wien wurde Samuels Name ignoriert – in München aber mehrten sich vernichtende Urteile.
Das deutlichste entstammte der Feder eines Professors für Kunstgeschichte, der im Kunstblatt der bayerischen Landeshauptstadt über ein Bild von Samuel schrieb: »Es
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