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Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut

Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut

Titel: Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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Vorstellung schickte einen Schwall Eifersucht durch ihren Körper. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Das durfte nicht wahr sein. Sie hatte sich nicht ernsthaft in eine Silhouette verguckt. Nein, das war lächerlich. Höchste Zeit, dass sie sich Gesellschaft für ihre einsamen Nächte suchte. Felipe hatte Recht, sie brauchte einen neuen Mann. Vielleicht sollte sie Andrew eine Chance geben. Das war auf jeden Fall besser, als sich zu zerfleischen und Schattenrissen nachzulaufen.
    Wieder dachte sie an Alan Glaser, den gut aussehenden Maler, der am Ende möglicherweise Undercoveragent war und Terroristen jagte. Aufregend. Sie hatte versäumt, sich nach Details zu seinem Liebesleben zu erkundigen, weil sie begierig gewesen war, eine Leiche zu fotografieren. Eine Frau musste eben Prioritäten setzen.
    Sie könnte in der Galerie Petrowska anrufen und Katherina die Große nach Glasers Telefonnummer fragen. Dabei müsste sie nicht einmal lügen, wenn sie Katherina sagte, dass sie das halb begonnene Interview fortsetzen wollte. Den Künstler nach schlüpfrigen Details fragen, die die Leser der People’s brennend interessierten. Mein Gott, ihre Phantasie ging mit ihr durch.
    Das waren also ihre Optionen. Ein zwielichtiger Maler und ein Schatten. Kein Wunder, dass Felipe sich über sie lustig machte.
    Erneut starrte sie zum Fenster hinüber. Was, wenn sie gerade einen Einbruch beobachtet hatte? Einen Raubüberfall? Sie stand auf und holte sich eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank. In Wirklichkeit wollte sie nur nicht wahrhaben, dass eine weibliche Hand die Vorhänge zugezogen und das Licht gelöscht hatte, um ihrem schattenhaften Liebhaber die Kleider vom Leib zu reißen.
    Eve kehrte an ihren Schreibtisch zurück, öffnete das Bild mit dem blutigen Handabdruck und verstärkte die Kontraste. Minutenlang musterte sie die feinen Linien. Ihr fiel eine Irritation im Bereich der unteren Fingerglieder auf, eine Verdickung der Strukturen auf allen vier Flächen. Schmutz oder dickflüssiges Blut? Aber die Konturen wirkten gleichmäßig. Und plötzlich sah sie es.
    Zwei senkrechte Striche, durch eine Diagonale verbunden. Ein N. Es musste eine Art Tätowierung sein, die sich wie ein Brandzeichen über die Hautfläche erhob. Das nächste Zeichen war ein aufgestellter rechter Winkel, der sich nach links öffnete. Dann ein Oval, ein O. Der letzte Buchstabe zeigte ein spiegelverkehrtes P. Vielleicht eine Art Geheimcode? Oder die weniger berauschende Möglichkeit, es hatte schlicht gar nichts zu bedeuten.
    Nein, das wollte sie nicht glauben. Man ritzte sich nicht grundlos Symbole in die Finger. Andererseits hatten sie es mit einem irren Serienmörder zu tun. Jemand, der mit kalendarischer Präzision allnächtlich zwei Menschen ermordete, schnitt sich vielleicht auch Zeichen in die Haut, einfach nur zum Vergnügen.
    Sie warf einen Blick zum Fenster. Es blieb schwarz. Was, wenn ein Eindringling dem Mann aufgelauert und ihn niedergeschlagen hatte? Ihr wurde heiß bei der Vorstellung. Und sie hatte zugesehen, und nicht einmal versucht, ihm zu helfen. Aber sie konnte schlecht hinübergehen und an seiner Tür klingeln. Das war absurd. Was sollte sie sagen, wenn er öffnete? Sie wusste doch nicht einmal, welches Apartment er bewohnte.
    „Shit“, sagte sie in den Raum hinein.
    Sie sprang auf, schlüpfte in ihre Schuhe und klaubte ihre Schlüssel von der Küchentheke. Sie öffnete die Wohnungstür, zögerte. Schließlich rannte sie zurück ins Schlafzimmer, zog die Schublade ihrer Wäschekommode auf und nahm die Beretta an sich. Sie warf die Pistole in ihre Ledertasche, zusammen mit einem Ladestreifen. Draußen im Flur zog sie die Beretta wieder heraus und hoffte, dass nicht ausgerechnet jetzt ein Nachbar auftauchte. Sie rammte den Munitionsclip in den Griff und lud die Waffe durch. Erst im Aufzug bemerkte sie, dass sie ihr Telefon vergessen hatte, wollte aber kein zweites Mal umkehren.
    Glücklicherweise saß nicht Felipe am Empfang, sondern die kleine Blondine, deren Name sich Eve nie merken konnte. Sie nickte der Frau zu und lief an ihr vorbei zum Ausgang. Mit weit ausgreifenden Schritten umrundete sie den Block. Sie wartete eine Lücke im Verkehr ab und hastete über die Straße. Neben einer stahlgerahmten Glastür hing ein Tastenfeld, das sie aufforderte, einen Code einzugeben. Eve legte den Kopf in den Nacken und starrte die Fassade hinauf. Wenn sie richtig gezählt hatte, befand sich das Apartment im achtzehnten Stock, eine Etage

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