Engelsfeuer
sich zu beruhigen. Mit solchen Feindseligkeiten würde es weitergehen, bis einer von ihnen zusammenbrach. Wenn sie Glück hatte, würde Beck als Erster nachgeben. Wenn nicht …
Sie blickte an Meister Stewarts Haus empor, während das Auto komische tickende Geräusche machte, als der Motor abkühlte. In dem prächtigen, viktorianischen Gebäude war nicht jedes Fenster erleuchtet, aber diejenigen, in denen Licht brannte, strahlten einen herzlichen Willkommensgruß aus. Jetzt, wo ihr Dad tot war, wirkte ihre Wohnung furchtbar leer, und im krassen Gegensatz dazu wirkte dieser Ort voller Leben. Mit der kunstvollen Schnitzerei am Giebel und dem mehrstöckigen Türmchen hätte Riley schwören können, dass dieses Gebäude aus einem anderen Jahrhundert nach Atlanta transportiert worden war. Hier konnte Liebe gedeihen, und der Ort wirkte wie ein Versprechen, dieses Gefühl zu hegen und vor einer brutalen Welt zu schützen.
Bis die Dämonenjäger des Vatikans ihre Auflagen änderten, musste sie unter den Fittichen von Großmeister Stewart bleiben. Das war gar nicht mal so schlecht, denn Stewart war nett, sein Haus war riesig und seine Haushälterin eine phantastische Köchin.
Der Meister war in den Sechzigern, hatte silbriges Haar und eindringliche, dunkle Augen. Hinter seinem wohlwollenden Lächeln verbargen sich ein scharfer Verstand und ein schlagfertiger Geist. Als Mitglied der Internationalen Zunft der Dämonenfänger lebte er seit zehn Jahren in Atlanta. Er sprach mehrere Sprachen, und sein Wort hatte sowohl bei der örtlichen Dämonenfängerzunft als auch bei den Dämonenjägern des Vatikans Gewicht. Rileys Vater war von Stewart ausgebildet worden und hatte stets mit aufrichtiger Zuneigung von ihm gesprochen. Jetzt wusste sie, warum.
Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, kickte Riley ihre Schuhe weg und warf die angekokelte Jacke darauf. Sie wusste echt nicht, warum sie die behalten hatte.
»Hallo?«, rief eine laute Stimme in vollem Timbre mit einem leichten schottischen Akzent.
»Ich komme«, sagte sie.
Es war schon zur Gewohnheit geworden, dass sie abends, wenn sie nach Hause kam, noch einige Zeit mit Stewart verbrachte, ehe sie ins Bett ging. Sie saßen in diesem großen Arbeitszimmer neben dem Feuer im überdimensionierten steinernen Kamin und sprachen über die Schule und alles Mögliche. Dasselbe hatte ihr Vater immer während des Frühstücks getan, und nachdem er gestorben war, hatte sie es sehr vermisst. Obwohl es nun nicht mehr ihr Vater war, der ihr Fragen stellte oder sie sanft durch die Geheimnisse des Lebens führte, freute sie sich jedes Mal auf diesen Moment.
Wie an den vorangegangenen Abenden fand sie den Hausherrn in seinem Lieblingssessel mit der Ausgabe einer schottischen Zeitung im Schoß und einem Glas Whisky auf dem Tisch neben sich. Neben einem dicken Tabakbeutel ruhte eine Pfeife in ihrem Ständer.
Obwohl Riley eigentlich Meister Harpers Lehrling war, war es Stewart gewesen, der ihr zur Hilfe gekommen war, als die Dämonenjäger sie verhaftet hatten, und sich mit dem ganzen Gewicht seines Rangs innerhalb der Internationalen Zunft für sie eingesetzt hatte. Als die »Inquisition« vorbei war, traf man eine Vereinbarung – Stewart war für ihr Betragen verantwortlich und würde mit seinem Leben dafür einstehen, wenn sie zu sehr aus der Spur geriet.
Riley setzte sich in einen der überaus bequemen Sessel und stellte ihren Rucksack neben den Füßen ab.
»Guten Abend, Riley.«
»Meister Stewart«, sagte sie höflich. »Gibt es einen bestimmten Grund, warum Sie Beck befohlen haben, mich nach Hause zu fahren?«
»Aye. Die Zunft hat heute eine Morddrohung erhalten.«
Wenn sie sich gegen die gesamte Zunft von Atlanta richten würde, hätte Stewart nicht Beck angerufen.
»Sie gilt mir, stimmt’s?«
»Aye.«
Was sollte sie dazu sagen? Jemand hasste sie genügend, um zu drohen, sie umzubringen, und das nur, weil sie zwischen den Armeen des Himmels und der Hölle gestanden und ihnen den Großen Krieg ausgeredet hatte.
»Ein paar Leute haben herausgefunden, was passiert ist, und sie reden. Manche glauben, du hättest den Dämonen geholfen, das Tabernakel anzugreifen. Du bist im Moment ziemlich prominent.«
»Ich werde mich nicht verstecken«, protestierte Riley. »Ich muss arbeiten, um meine Rechnungen zu bezahlen.«
»Aye. Wir haben den Brief der Polizei übergeben, und die finden hoffentlich heraus, wer dahintersteckt.« Stewart füllte Tabak in die Pfeife und
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