Engelsfluch
nicht ein zweites Mal heraufbeschworen wird!«
Die Rückkehr des totgeglaubten Papstes sorgte für einen Riesenwirbel in den Medien, weltweit, aber natürlich besonders in Italien. Elena und Alexander schrieben für den »Messaggero di Roma« eine täglich erscheinende Serie über ihre Erlebnisse, in der sie allerdings nur einen Teil der Wahrheit offen legten.
Jeder Hinweis auf den Engelssee und sein Geheimnis fehlte, so hatten sie es dem Papst versprochen. In der Öffentlichkeit wurde Renzo Lavagnino als eiskalter Machtmensch dargestellt, der über Leichen gegangen war, um einen Putsch im Vatikan anzuzetteln und sich letztlich selbst an die Spitze der Kirche zu setzen. Das beschrieb wohl einen Teil seines Charakters, fand Enrico, aber jeder Hinweis auf den noch gefährlicheren Teil, auf Lavagninos bedingungslosen Glauben an die Engelsmacht, fehlte.
Ein zweites Mal in diesem Jahr wurde der Vatikan einer gründlichen Säuberung unterzogen, und Custos hoffte, diesmal wirklich alle Anhänger von Totus Tuus entfernt zu haben. Aber noch war die Kirche gespalten, und die Welt rätselte, wie es weitergehen würde.
Eine gute Woche nach den Ereignissen am Engelssee wollte Papst Custos laut einer Ankündigung des Vatikans beim sonntäglichen Angelusgebet eine wichtige Mitteilung über die Zukunft der Kirche machen. Genaueres war nicht bekannt, außer dass Custos in den letzten Tagen intensive Gespräche mit Tomás Salvati geführt hatte. Medienvertreter aus aller Welt hatten sich an diesem sonnigen Oktobertag auf dem Petersplatz versammelt und warteten neben Tausenden von Gläubigen auf das Erscheinen des Papstes. Auch Enrico war gekommen und hatte dank Elena und Alexander einen Platz auf der Pressetribüne gefunden.
Endlich wurde die Tür des Balkons geöffnet, und Custos trat vor die Menschen. Zu deren Erstaunen war er nicht allein.
Neben ihm stand ein zweiter Mann im weißen Gewand des Heiligen Vaters: Tomás Salvati, der Gegenpapst. Ein erstauntes Raunen ging durch die Menge und konnte nur durch eine beschwichtigende Geste des Papstes eingedämmt werden. Dann sprachen er und Salvati gleichsam mit einer Stimme das Vaterunser. Am Ende des gemeinsamen Gebets bekreuzigten sie sich, und die meisten Menschen taten es ihnen nach.
»Unser allmächtiger Herrgott und sein Sohn Jesus Christus haben uns zur Eintracht und zur Vergebung ermahnt«, begann Custos seine Ansprache. »Das Gebot zum einträchtigen Miteinander hat die Kirche in jüngster Zeit wahrlich nicht befolgt. Ihr widerfuhr das größte nur erdenkliche Unglück, die Spaltung. Jetzt haben wir zwei Kirchen, und auch die Gläubigen sind in zwei Parteien zerfallen, von denen jede fest daran glaubt, den richtigen Weg zu beschreiten. Aber was heißt das?
Unterliegt die Hälfte unserer Gläubigen einem gewaltigen Irrtum? Ich glaube, die Wahrheit liegt in der Mitte. Wir alle irren uns und haben auch wieder Recht. Ich habe mit den Reformen der Kirche vielleicht, nur um schnell voranzukommen, auch manches über Bord geworfen, was gut und richtig war. Die Heilige Kirche des Wahren Glaubens wiederum hat sich meinen Reformen so radikal versagt, dass sie gleichfalls mit dem Falschen auch das Rechte verbannte.
Obwohl viel von der Unfehlbarkeit des Papstes gesprochen wird, bin ich doch nur ein Mensch und mache Fehler wie ihr alle. Wenn einer allein über das Schicksal einer so großen Schar von Gläubigen gebietet, können Ungerechtigkeiten und Fehler nicht ausbleiben. Um das in Zukunft auszuschließen, habe ich meinen Bruder im Glauben, Lucius IV., gebeten, seine Gläubigen in den Schoß unserer Kirche zurückzuführen und fortan gleichberechtigt mit mir auf dem Stuhl Petri zu sitzen.«
Custos wandte sich an den anderen Papst. »Ich vergebe dir alle Schuld, die du auf dich geladen hast, Bruder, und bitte auch dich um Vergebung.«
Die staunende Öffentlichkeit hing an den Lippen von Tomás Salvati – von Lucius IV., als dieser erwiderte: »Ich danke dir für deine Gnade, Bruder Custos, und ich vergebe dir. Mögen die Gläubigen und unsere Kirchen wieder vereint sein im Glauben, so wie wir es sind!«
Sie umarmten sich lang und herzlich, und unter ihnen auf dem Petersplatz brach frenetischer Jubel aus.
»Das ist eine Bombe!«, sagte Elena auf der Pressetribüne und musste sich anstrengen, um die Hochrufe und das Klatschen zu übertönen. »Eine wiedervereinigte Kirche mit zwei gleichberechtigten Päpsten an der Spitze, so etwas hat es noch nie gegeben!«
»Vielleicht die
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