Engelsgrube - Almstädt, E: Engelsgrube
nachschenkte, schien ihn zu immer neuen Selbstbetrachtungen zu animieren. Joe und Isabel sahen einander ungeduldig an. Es dauerte eine Weile, bis Albrecht die Blicke seiner Freunde bemerkte und sich erhob.
»Also gut, ihr könnt es wohl nicht abwarten. Für diesen Anlass habe ich etwas Besonderes organisiert …«
Er ging nach nebenan in den Damensalon, wie der an die Halle grenzende Raum seiner verspielten Einrichtung wegen genannt wurde.
Joe hörte ein Kratzen und Klicken, als Albrecht das Geheimfach in der Holzvertäfelung öffnete. Stets bestand er darauf, allein dorthin zu gehen. Eine Eigenart, die Isabel und Joe in seiner Abwesenheit mit einem konspirativen Lächeln bedachten. Sie hatten sich längst über die Lage und den Mechanismus des Faches informiert.
»Fragt mich lieber nicht, wo ich das her habe. Es ist allerbester Stoff«, meinte Albrecht, als er mit dem Briefchen in der Hand zurückkehrte.
Er schüttete das Kokain auf den verspiegelten Blumenvasenuntersetzer seiner Großtante. Joe sah ihm zu, wie er die weißen Krümel mit der Klinge eines Teppichmessers zerhackte. Mit der Kante seines Personalausweises schob Albrecht das weiße Pulver zu drei dünnen lines zusammen.
Joe versuchte, mit kreisenden Bewegungen seine verspannten Schultern zu lockern. Er fragte sich, ob genug für alle da war und ob sie auch alle gleich viel bekämen. Sein Verlangen nach dem Stoff, seine Gier, wurde langsam übermächtig. Für einen kurzen Moment befürchtete er, dass ihre Freundschaft genau an diesem Punkt einmal an ihre Grenzen stoßen würde …
Sie gingen erst schlafen, als der Morgen graute. Seit die sechs Zimmer im oberen Stockwerk durch das undichte Dach unbewohnbar geworden waren, schliefen Albrecht, Isabel und Joe unten im Gartenzimmer. Ein neues Dach für die Jugendstilvillamit ihren Erkern und Türmchen wäre so teuer wie ein Reihenhaus in einem Lübecker Vorort, behauptete Albrecht. Er zöge es vor, nicht darüber nachzudenken. Das Gartenzimmer war, gemessen an der Halle oder dem Damensalon, ein kleiner, intimer Raum. Durch eine geschwungene Flügeltür blickte man in den verwilderten Garten.
Joe ließ sich auf eine der Matratzen fallen und griff nach einer Steppdecke. Während er sich körperlich erschöpft und ausgebrannt fühlte, war sein Geist noch hellwach. Der Stoff war wirklich erstklassig gewesen, er hatte das Gefühl, klarer denken zu können als jemals zuvor. Unangenehm war nur, dass sein Hals sich wie betäubt anfühlte und er kaum noch schlucken konnte. Das kam davon, wenn man das Zeug schniefte.
Während er auf Albrecht und Isabel wartete, starrte er an die stuckverzierte Decke. Etwas war anders als sonst. Sein Blick blieb an einem nackten Haken hängen. Bis vor kurzem hatte dort oben noch ein altmodischer Kronleuchter gehangen.
Albrecht hatte bereits eine Menge Mobiliar verkauft, um finanziell über die Runden zu kommen. Ob sein Freund dieses Haus auf Dauer würde halten können?
Als Isabel und Albrecht ins Zimmer kamen, hatte er sich die Decke bis über die Ohren gezogen und stellte sich schlafend. Joe wusste, was nun folgen würde. Anfangs waren sie immer recht leise, als versuchten sie, Rücksicht auf ihn zu nehmen. Aber er ahnte, dass er ein Teil ihres Spiels war. Isabel hatte Joe einmal anvertraut, dass Albrecht ohne Zuschauer gar nicht könne …
Einerseits erregte es Joe, dabei zu sein, andererseits fühlte er sich benutzt. Sie waren keinen Meter von ihm entfernt, doch die räumliche Nähe schloss ihn nur umso unbarmherziger vom Geschehen aus.
Isabel flüsterte etwas. Dann hörte es sich so an, als ob die Decken zurückgeschlagen würden. Joe blinzelte in die Dunkelheit. Er würde noch verrückt werden, dachte er mit aufkommender Verzweiflung. Wenn es nur schon vorbei wäre.
Isabels Atem wurde schneller. Albrecht stöhnte leise. Joe meinte, den Sex nicht nur hören, sondern auch riechen zu können. Seine Hand griff unter der Decke in seine Boxershorts. Seiner Erregung nachgebend, fühlte er Scham und Erniedrigung.
Es kam ihm fast im selben Moment wie Isabel, nur dass sein Orgasmus von den anderen unbemerkt und nahezu lautlos verklang. Danach schlief Joe beinahe augenblicklich ein.
2. KAPITEL
F ür Anfang September war es noch ungewöhnlich warm. Pia Korittki, Kommissarin bei der Bezirkskriminalinspektion in Lübeck, unterbrach die Bearbeitung der vor ihr liegenden Akte. Sie saß seit acht Uhr morgens vor dem Bildschirm, und ihre Augen brannten. Die Jalousien vor
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