Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd
Garageneinfahrten. Darüber erhob sich der Schlussakkord aus Emilys dreijährigem Ehedesaster. Eine Villa mit Panoramafenstern und italienischem Ziegeldach. Die Rolltore vor den Garagen waren verschlossen, doch Violet entdeckte einen Trampelpfad, der durch Büsche und Blumen nach oben führte. Sie stieg den Abhang hinauf, umrundete das Haus und blieb auf der Terrasse stehen, die einen atemberaubenden Blick über die Hollywood Hills bot. Zitronenbäume säumten den Pool. Eine der Fenstertüren stand einen Spalt offen. Violet frohlockte. Typisch Emily. Eine Nachlässigkeit, auf die sie gehofft hatte.
Sie schob die Tür auf und betrat das geräumige Wohnzimmer. Rostrote Vorhänge filterten die Sonne. Eine seltsame Neugierde stieg in ihr auf, als sie mit der Hand über eine Sofalehne glitt. Das also war das Haus ihrer Schwester. Ein Kleid lag zusammengeknüllt auf einem Sessel, Flitter und rote Seide. Ihr wurde bewusst, dass nichts ihr Verhältnis zu Emily so gut illustrierte wie die Tatsache, dass sie einbrechen musste, um zu sehen, wie ihre Schwester wohnte. Die aufkeimende Entdeckerfreude erstickte unter der Frage, ob die Verachtung, die sie ihrer Schwester entgegenbrachte, nicht selbstgerecht war. Ihr Leben lang hatte Emily sich mit einem hübschen Gesicht und wohl kalkuliertem Charme erschlichen, was andere sich hart erarbeiten mussten. Doch wem gab das Leben recht? Emily besaß ein Haus in den Hollywood Hills und würde einen Mann heiraten, der ihr nicht nur Autos und Gucci-Handtaschen kaufte, sondern auch noch aussah wie Daniel Craig. Ganz im Gegensatz zu ihr, die sich mit Typen herumschlug, die nach Hähnchen mit Knoblauch stanken und ihre Rechnungen nicht zahlten, während sie mit zwei Mieten im Rückstand war.
Auf dem Couchtisch lag eine Telefonrechnung vom letzten Monat. Blau und weiß prangte das AT & T Logo auf dem Briefkopf. Sie klappte ihr Handy auf und rief Marshall an.
„Wo steckst du?“, fragte er zur Begrüßung.
„Ich bin gerade ins Haus meiner Schwester eingebrochen.“ Violets Blick glitt über drei Bronzestatuetten, die auf der Anrichte standen. „Du weißt schon, die verlorene Tochter. Ich bin schwach geworden. Ich habe meiner Mutter versprochen, sie aufzustöbern.“
Marshall machte ein Geräusch, das sie nicht identifizieren konnte.
„Arbeitet deine Cousine eigentlich noch bei AT & T?“
„Hör mal ...“
„Jaja, ich weiß“, fiel sie ihm ins Wort, „wenn sie den Job verliert, bringt deine Tante dich um.“
„Warum fragst du dann?“
„Es wäre nur eine Kleinigkeit. Sie soll keine Kundendaten klauen oder so was.“ Violet biss sich auf die Lippen. „Nur schnell etwas überprüfen. Ich kaufe ihr auch dieses Calvin-Klein-Kleid ...“
„Das du dir sowieso nicht leisten kannst.“
„Warte!“ Mit einer Hand pflückte sie den Flitterfetzen vom Sessel. „Sag ihr, ich habe sogar noch was Besseres.“ Sie studierte das Label auf der Innenseite. „Dolce & Gabbana und rot wie die Sünde.“ Es roch nach Parfüm, aber sie konnte es reinigen lassen. „Sie soll nur überprüfen, wo sich Emilys Handy zum letzten Mal eingeloggt hat.“
„Sonst nichts?“ Er klang überrascht. „Dafür ist Dolce & Gabbana ein bisschen übertrieben, oder? Ich sage ihr, du lädst sie ins Kino ein.“
„Nehmen wir es als Vorschuss auf zukünftige Gefallen.“ Sie lächelte. „Okay, die Nummer ist sechs-zwei-sechs ...“
Irgendwo im Haus schlug eine Tür zu. Der Knall ließ sie zusammenzucken. Das konnte ein Windstoß gewesen sein. Oder eine Katze. Oder ein weiterer Einbrecher. Und sie war nicht einmal bewaffnet.
„Warte“, wisperte Violet. Ihr Nacken begann, zu prickeln. Sie ließ das Kleid fallen und griff sich eine bronzene Meerjungfrau von der Anrichte. Ein wenig lächerlich kam sie sich vor, als sie mit ihrer improvisierten Keule in den Flur trat, aber ihr Misstrauen war stärker. Zwei Türen standen offen. Sie spähte in eine Art Büro und in ein Schlafzimmer, das Emily offenbar als Kleiderschrank nutzte. Als sie sich der dritten Tür näherte, die geschlossen war, streifte Erdbeerduft ihre Nase. Sie packte ihre Bronzekeule fester und presste sich rücklings an die Wand. Mit der freien Hand klinkte sie die Tür auf, doch nichts geschah. Keine Regung, kein Laut. Kein Kugelhagel.
Sie beugte sich vor und spähte in ein großes Schlafzimmer. Halb erleichtert, halb beschämt über ihre Schreckhaftigkeit ließ sie die Meerjungfrau sinken. Sie hatte sich getäuscht. Es gab keinen Eindringling.
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