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Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd

Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd

Titel: Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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Nur der Erdbeergeruch hing in der Luft, wie ein exzentrisches Raumparfüm. Vielleicht stand ihre Schwester auf Sex mit Erdbeeren.
    Sie betrat das angrenzende Badezimmer und schaltete das Licht ein. Der Waschtisch sah aus, als habe jemand in größter Eile etwas gesucht. Parfümfläschchen und Cremedosen waren umgestürzt. Um das Waschbecken herum lag der Inhalt eines Medizinschranks verstreut. Schlafmittel, Antibiotika, dazu alle möglichen Medikamente, deren Namen sie nie gehört hatte. Tabletten, die sich Emily im Laufe der Jahre gegen ihre eingebildeten Krankheiten hatte verschreiben lassen.
    Auf dem Boden des Waschbeckens war eine rostfarbene Flüssigkeit angetrocknet, darin klebte eine Folie mit großen schwärzlichen Kapseln. Der Anblick verursachte ihr eine Gänsehaut, ohne dass sie genau wusste, warum. Sie drehte sich um und entdeckte einen Putzeimer neben der Toilette. Er war zur Hälfte gefüllt. Mit heißem Wasser, das noch dampfte.
    Die Meerjungfrau zum Schlag erhoben, riss sie die Tür zum Abstellraum auf. Ein Schwall unverständlicher Worte schoss ihr entgegen, halb Betteln, halb weinerliches Lamento. In der Dunkelheit machte sie eine Mexikanerin aus, die sich in eine Ecke zwischen Wäschekorb und Reisetasche gekauert hatte und schützend die Hände über den Kopf erhoben hielt. Die Putzfrau. Violet ließ die Meerjungfrau sinken.
    „Was machen Sie hier drin?“
    Die Mexikanerin hieß Inez und beteuerte, dass sie nichts stehlen wollte. Hastig nestelte sie einen Schlüssel aus ihrer Hosentasche, um zu beweisen, dass sie die Erlaubnis hatte, das Haus zu betreten.
    „Ich glaube Ihnen ja.“ Violet roch an der leuchtend gelben Spraydose, die sie neben Inez im Kleiderschrank gefunden hatte. Der Erdbeergeruch überwältigte sie.
    „Gehört die etwa Ihnen?“
    Inez stand mit hängenden Schultern da und betrachtete den Boden. „Ich wollte mir nur schnell die Haare machen.“ Sie wies auf den Waschtisch. „Sehen Sie, wie das hier aussieht?“
    „Ja, aber warum in aller Welt haben Sie sich im Schrank versteckt?“
    „Ich dachte, Sie sind ein Einbrecher.“
    „Ich bin Emilys Schwester. Keine Angst, wir haben keine Geheimnisse voreinander.“
    Inez wirkte nur mäßig erleichtert. „Dann kennen Sie diese Leute?“
    „Welche Leute?“
    „Die Verrückten.“ Inez tippte mit dem Zeigefinger gegen ihre Schläfe. „Loco rematato, verstehen Sie?“ Ihre Stimme sank zu verschwörerischer Nähe ab. „Wenn Sie ihre Schwester sind, dann wissen Sie sicher, was mit ihr los ist? Sie benimmt sich seltsam in letzter Zeit.“
    „Was meinen Sie?“
    Die Putzfrau machte eine vage Handbewegung. „Sie taucht nur kurz auf und spricht nicht mit mir. Letzte Woche hat sie eine Vase zerschlagen ...“
    „Warten Sie“, unterbrach Violet ihren Redefluss. „Letzte Woche? Ich dachte, sie ist verreist?“
    „Verreist?“ Verständnislos blickte Inez sie an.
    Großartig. Violet seufzte. Dann hatte Stephan sie angelogen. Oder Emily hielt ihn genauso zum Narren wie alle anderen. So oder so, sie musste Inez beruhigen. „Kommen Sie.“ Sie fasste die Putzfrau am Arm und zog sie aus dem Bad. „Ich mache uns einen Kaffee und dann gehen wir ins Wohnzimmer und unterhalten uns wie zivilisierte Menschen.“
    „Die Etherlightkirche, genau.“ Inez’ Gesicht bekam einen verträumten Ausdruck. „Sie haben ein Gebetshaus in Nord Hollywood mit einem schönen Altar.“
    „Und Emily ist dieser Kirche beigetreten?“
    Die Mexikanerin nickte heftig. „Zuerst dachte ich, dass es gut für sie ist. Jeder braucht einen Hafen. Warten Sie, ich zeige Ihnen etwas.“
    Sie kramte in ihrer Handtasche und brachte ein verknittertes Blatt Papier zum Vorschein. Die obere Hälfte wurde eingenommen von einem Stundenspruch, umrahmt von zwei Rauschgoldengeln und einem Strahlenkranz. Darunter befanden sich ein Foto, Sonnenaufgang über der Wüste und eine Wegbeschreibung.
    „Lag im Papierkorb“, verkündete Inez. „Ist doch schade drum.“
    „Interstate 15 Nord.“ Anstelle einer Adresse waren nur GPS-Koordinaten angegeben. „Das ist die Straße nach Vegas, oder?“
    „Was?“ Irritiert blickte Inez sie an.
    „Die Adresse hier.“
    „Nein, ich meine das da.“ Ein brauner Zeigefinger tippte auf die Textpassage zwischen den Engeln.
    Und der Herr sprach zu seinen Kindern: Seid fest im Glauben und unerschütterlich und folget mir. Die Feuersbrunst wird sich teilen und die Wogen der Sintflut werden nicht über euch hinwegfegen, denn eure Seelen sind

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